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Teufelstour

Fünfter Dezember. Krampustag. Für den gelernten Österreicher und sein weibliches Pendant kein ganz bedeutungsloser Termin.

Einen Tag vor dem Festtag des gütigen, freundlichen Sankt Nikolaus hat dessen düsterer Widerpart seine Zeit.

Ein Widerpart, dem gar nicht so einfach auf die kulturhistorischen Schliche zu kommen ist.

Um über diese allerdings in Ruhe nachdenken zu können, will erst der Körper zufriedengestellt werden. In meinem speziellen Fall bedeutet das: Ich muss mich ein wenig sportlich austoben, um geistig aktiv werden zu können.

Und da das Hirn mit einer erklecklichen Menge Sauerstoffs noch besser funktioniert, muss ich dazu ins Freie. Also stand an diesem Morgen erneut eine kleine Wanderung an.

Der Tag begann krampusgemäß mit einem Himmel, der wirkte, als hätte tatsächlich die Hölle ihre Pforten geöffnet und die Wolken gefielen sich darin, das dort unten lodernde Feuer widerzuspiegeln.

Bald darauf sollte es von Thaya losgehen. Damit meine Gedanken allerdings nicht schon beim vormittäglichen Marschieren Kapriolen schlügen (wie das während meiner letzten Tour der Fall gewesen war), kam diesmal vorsorglich meine von früheren Wanderungen bereits bewährte Schrittmacherin mit. Plaudern lenkt bekanntlich von zu viel Grübeln ab. Und das funktionierte auch an jenem Krampustag wieder bestens.

Am Mittelbühel oberhalb von Puch zeigte sich erstmals wirklich blauer Himmel, obwohl auch weiterhin die Sonne große Anstrengung aufwenden musste, um durch die Wolkendecke blinzeln zu können. Hin und wieder kurze Ehrenrunden durch unbekannte Wälder drehend - zeitweise verweigerte nämlich das GPS die produktive Mitarbeit - marschierten wir aber gewohnt flotten Schrittes am Karlsteiner Berg vorbei Richtung Predigtstuhl.

Die Temperaturen knapp über null Grad Celsius sorgten in Kombination mit dem Schnee, dem Schlamm, vielen frisch gefällten Bäumen und so mancher Eisplatte für koordinativ spannende Wegabschnitte. Aufmerksames Gehen war ratsam. Nein, eher dringend gefragt. Nachdem wir aber beide nicht unbedingt zu den motorisch hoffnungslosen Fällen zählen, überlebten wir - und kamen sogar wirklich flott voran.

Der Gipfel des Predigtstuhls stellt mit seinen eigentlich (ja, ich liebe dieses Wort, obwohl es eigentlich nichts bedeutet) bescheidenen 718 Metern Seehöhe die höchste Erhebung im Bezirk Waidhofen an der Thaya dar, insofern verfügt er sogar über ein Gipfelbuch, in das wir uns pflichtschuldigst eintrugen. Man weiß ja, was sich gehört. Und ich gebe zu: Bei meinem letzten Aufstieg zum Predigtstuhl hatte ich das sträflichst verabsäumt. Schande über mich.

Zügig marschierten wir dann am Kaltenbach entlang Richtung Waidhofen, wo wir erst die Bundesstraße 5 und dann die Thaya überquerten. Nein, nicht schwimmend. Es gibt bei Altwaidhofen eine Fußgängerbrücke. Anschließend ging es via Sixmühle und Klein Eberharts zurück zum Ausgangspunkt der Wanderung - nicht ohne noch von einem reichlich tragenden Apfelbaum in einem verwilderten Garten zwei sich verzweifelt an ihren Ästen festklammernde Äpfel zu entführen. Sie schmeckten übrigens hervorragend. Schade um ihre unzähligen unbeachteten Brüder und Schwestern. Amen.

Apropos Amen:
In unerschütterlichem Glauben stellen ja in manchen Ländern Kinder (und vielleicht auch die einen oder anderen Erwachsenen) Stiefel vor die Tür, um sie von Sankt Nikolaus befüllen zu lassen. Ganz ehrlich, mit meinen Wanderschuhen wollte ich jenem schönen Brauch an diesem Abend nicht huldigen.

Abgesehen davon, dass ihre klinische Reinheit ein wenig zu wünschen übrig ließ, waren sie nach etwas mehr als 25 Kilometern sehr, sehr zackig marschierter Wegstrecke unter Umständen auch geruchlich nicht perfekt geeignet, Essbares aufzunehmen.

 

Und schon war ich gedanklich vom sportlichen Outdoorerlebnis beim spirituellen Thema des fünften Dezembers angekommen. Manchmal ist es ja nur ein kleiner Sprung von verdreckten Wanderschuhen zu einer Figur, die Urängste sichtbar macht.

Okay, auch verdreckte Wanderschuhe können ganz schön angsteinflößend sein. Vor allem für Leute, die gesteigerten Wert auf ein sauberes Auto legen.

Gut, dass ich nicht zu denen gehöre.

Zumindest nicht, wenn ich selbst der Schmutzfink bin.

Aber ich schweife ab. Schon wieder einmal.

 

Der Krampus als solcher ist zwar wohl von Brauchtum, das auf vorchristliche Traditionen zurückgeht (wie etwa Perchtenläufen), inspiriert, allerdings erst ab dem Ende des 16. Jahrhunderts nachweisbar. Falls nicht überhaupt erst seit dem 17. Auf alle Fälle hat er noch keine lange Karriere als Kinderschreck.

Seinen umwerfenden - und internationalen - Erfolg verdient er aber wohl einem anderen Umstand: nämlich der Tatsache, dass ein Held neben einem Bösewicht gleich viel heldenhafter erscheint.

Aber welcher Held?

Foto: pixelio.de
Foto: pixelio.de

Es liegt auf der Hand: Um den Nikolo zu "supporten", wie es so schön neudeutsch heißt, braucht es natürlich jemanden, der ihn bei der Arbeit begleitet. Falls keine braven Kinder zu belohnen sind, muss die Drecksarbeit wieder einmal der arme Teufel - sprich der Krampus - machen und sich um die schlimmen Fratzen kümmern. Wir kommen hier allerdings schon wieder ein wenig vom sicheren Argumentationsweg ab. Ob nämlich Krampus und Teufel dieselbe Person sind, ist durchaus fraglich. Wie ich schon an anderer Stelle ausführlicher geschrieben habe, bin ich der Meinung, dass "Teufel" in vielen Schriftquellen einfach als Synonym für "Heiden" verwendet wird. Andererseits wäre es ja auch gar nicht so unpassend, einen Heiligen im Doppelpack mit einem in christlichem Sinne Ungläubigen zu den Kindern zu schicken. Auf der einen Seite stünde der heilige Nikolaus - sauber, freundlich, gütig, belohnend; sein Gegenteil, der Ungläubige, wäre hässlich, zottelig, laut, angsteinflößend. Der perfekte Weg, dem christlichen Nachwuchs den Unterschied zwischen diesen beiden spirituellen Lebensentwürfen deutlich zu machen. Jugendmissionierung auf die traumatisierende Weise. Da darf man nicht zimperlich sein.

In all der modernen Pyrotechnikshowspaßundbesäufnisatmosphäre, die heute so manchen Krampusläufen innewohnt, lebt allerdings nach wie vor die Erinnerung an die (möglichen) Wurzeln dieses Brauchtums: nämlich an den Umstand, dass sich zu Zeiten der Christianisierung die Anhängerinnen und Anhänger alter Glaubensvorstellungen trafen, um maskiert, vielleicht in Tiergestalt, ihre Feste zu feiern, die wohl wie in allen Naturreligionen auch Tanz und rhythmische Musik beinhalteten.

Ich postuliere: Sie wurden als Hexen und Teufel bezeichnet und ihre Gottesdienste fanden nicht in Gebäuden, sondern in der Natur statt, auf Anhöhen oder auf und um markante Geländepunkte.

Wurden christliche Predigten von der Kirchenkanzel herab gehalten, so waren deren heidnische Pendants natürliche Kanzeln wie etwa Felsblöcke.

Wenn die höchste Erhebung weit und breit bis heute den Namen "Predigtstuhl" trägt und an ihrem höchsten Punkt einen beindruckenden, massigen, gut erklimmbaren Restling aufweist, dann ist deren rituelle Vergangenheit nicht allzu schwierig zu erahnen. Oder?

Und schon schließt sich der Kreis zwischen Vormittagswanderung und Nachmittagsgrüblerei.

Teuflisch.