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Sport in Zeiten von Corona (frei nach Gabriel García Márquez)

Es ist im Waldviertel wie im restlichen Österreich auch: Große Bereiche des öffentlichen Lebens sind momentan stillgelegt - und das ist gut so. Auch Sportstätten sind demnach geschlossen, ganz egal, ob es sich um Fußballplätze, Vereine oder Fitnesscenter handelt. Jeder und jedem virologisch noch so Ungebildeten (und dazu zähle ich mich auch) ist sonnenklar, dass genau an diesen Orten extrem hohe Ansteckungsgefahr besteht.

Ergo muss man fett, faul und netflixsüchtig werden.

Hm, nein, eigentlich nicht.

Gerade wir Nordmänner (und selbstverständlich auch die Nordfrauen) haben ja den Vorteil, direkt vor der Haustür einen geradezu perfekten Trainingsbereich zu haben.

Halt! Einen Moment! Sollen wir denn nicht coronabedingt zu Hause bleiben? Aus allen Ecken und Enden schallt es doch unentwegt "Stay at home!".

Jo, eh.

Aber alleine oder in Begleitung einer Mitbewohnerin oder eines Mitbewohners ist das Verlassen der eigenen vier (oder auch deutlich mehr) Wände durchaus erlaubt, solange man sich nicht mit anderen Leuten zum Massenschlammringkampf, Großgruppenkuscheln oder ähnlichen Aktivitäten trifft, die es einem unmöglich machen, den geforderten Ein-Meter-Sicherheitsabstand einzuhalten.

Mein Glück, dass ich der Typ bin, der diesen Abstand ohnehin vollkommen freiwillig seit eh und je zu den meisten seiner Miterdlinge einhält. Die Umstellung ist für mich also nicht wirkliche eine.

Ergo ist mir das Wandern in meiner Wohnumgebung durchaus erlaubt, auch ohne einen gassigehbedürftigen Hund mit Blasenschwäche mein Eigen zu nennen.

Auf dem Weg von Oberedlitz Richtung Thaya. Hier jemanden zum Anstecken zu finden, ist schon eine verhältnismäßig große Herausforderung.
Auf dem Weg von Oberedlitz Richtung Thaya. Hier jemanden zum Anstecken zu finden, ist schon eine verhältnismäßig große Herausforderung.

Der Sonntagmorgen, der noch frei von jeder Ausgangsbeschränkung war, war ein sonniger, perfekt für eine längere Wanderung. Mit Hilfe des Tourenplaners von Outdooractive.com hatte ich eine Runde ums Haus zusammengestellt, für die sich sogar eine fast schon unheimlich motivierte Mitwanderin gefunden hatte.

Um acht Uhr trafen wir uns unterhalb des Peigartener Schlosses und stapften in den jungen Tag. Vor uns lagen laut der App knappe 60 Wegkilometer und etwas mehr als 320 Höhenmeter. Kurz zusammengefasst: ein langer, relativ flacher Hatscher - allerdings in einer Gegend, die für solche Touren regelrecht prädestiniert ist, da sich die Landschaft hier im Norden abwechslungsreich und durchaus attraktiv präsentiert. Zumindest jenen Menschen, die keine Angst vor zu viel Natur haben. Es war strahlend sonnig, windig und ziemlich kalt - die Temperaturen lagen nicht viel über dem Gefrierpunkt. Egal, wir waren ja in Bewegung.

So ging es parallel zum Fluss Thaya durch die Marktgemeinde Thaya bis zur Bezirkshauptstadt Waidhofen an der Thaya. Ich weiß, ich wiederhole mich, doch das ist aufgrund der geografischen Gegebenheiten in diesem Abschnitt des Weges kaum vermeidbar. Nicht nur das Böse, auch das Wort Thaya ist immer und überall. Zumindest in jener Ecke des Waldviertels.

Die gekräuselte Oberfläche ist nur dem starken Wind an diesem Sonntag geschuldet - üblicherweise präsentiert sich die Thaya spiegelglatt.
Die gekräuselte Oberfläche ist nur dem starken Wind an diesem Sonntag geschuldet - üblicherweise präsentiert sich die Thaya spiegelglatt.

Selbst die Bezirkshauptstadt wirkte bei ihrer Durchquerung wie ausgestorben. Wir rätselten: War das dem Lazy-Sunday-Feeling oder der Präsenz des Corona-Virus geschuldet? Kurz zogen wir auch eine von uns unbemerkt abgelaufene Zombie-Apokalypse in Betracht, vergaßen diesen Verdacht allerdings schnell, weil nach etwa 15 zurückgelegten Kilometern eine Bank unsere Aufmerksamkeit auf sich zog, welche sich nachdrücklich für eine kurze Pause zwecks Kaloriendepotauffüllung anbot.

Da die Müdigkeit allerdings noch nicht spürbar und die Motivation hoch war, brachen wir sehr schnell wieder auf und marschierten weiter. Abgesehen von einigen Menschen, die wir mit ihren Vierbeinern auf einem Hundetrainingsgelände neben dem Weg ausmachten, blieben wir nach wir vor fast alleine in dieser weiten Landschaft.

Und genauso ging es auch weiter und weiter und weiter.

Die Abwesenheit menschlichen Lebens auf den Bildern ist kein gewollter Kunstgriff eines soziophoben Landschaftsfotografen, sondern war die Realität. Nur sehr, sehr vereinzelt trafen wir auf andere Personen, fast ausschließlich mit Hund oder (Klein-)Kind - also triftigen Freiluftaufenthaltsgründen. Dass sich unter diesen - kurz nach der zweiten Pause im Naturpark Heidenreichstein - auch mein Drittgeborener inklusive Freundin, Hund, Schwiegermutter und Schwägerin in spe befand, war eine nette Überraschung, fiel aber besetzungstechnisch nicht weiter auf, wenn man den vorangegangenen Satz betrachtet.

Das Wetter war zumindest auf den windgeschützteren Wegabschnitten wirklich fein, wie man auf den Bildern unschwer erkennen kann. Ich ging recht mühelos dahin, hatte ich doch aus den vergangenen Märschen einiges gelernt: regelmäßige Pausen, eine konstante, nicht zu hohe Geschwindigkeit, ausreichend Nahrung und Flüssigkeit, passende Schuhe mit verhältnismäßig steifer Sohle, mehr braucht es für mich (und wahrscheinlich auch die meisten anderen Menschen) nicht, um weite Strecken möglichst problemlos zu gehen.

Bei meiner Mitwanderin - deren Gehtempo ich bis dahin immer wieder ein wenig drosseln hatte müssen - meldete sich allerdings bereits zaghaft die eine oder andere Blase, eine ähnliche Erfahrung, wie ich sie auch mit meinen Laufschuhen bei einem vergangenen Materialcheck für den Megamarsch um Wien gemacht hatte. Deshalb überlegte sie kurzzeitig laut, sich in Eggern abholen zu lassen. Na ja, eigentlich nur halblaut. Ganz nach dem Motto "Der Schmerz vergeht, der Stolz bleibt" biss sie letztendlich die Zähne zusammen und sich selber bis zum Ziel durch. Top!

Langsam sank die Sonne hinter den Horizont und wir stellten die eine oder andere Berechnung an, ob wir noch vor dem endgültigen Einbruch der Dunkelheit zurück sein würden.

Als jedoch (wenn auch im Abendrot) Gastern unter uns lag, wussten wir: Es könnte ohne Einsatz der Hirnbirn (vulgo Stirnlampe) gehen - wenn auch knapp, denn etwa fünf Kilometer lagen noch vor uns. Bereits in Garolden - also in der Hälfte der eben genannten Distanz - war es dann wirklich dunkel, doch der bereits zuvor zum Einsatz gekommene Stolz ließ es nicht zu, auf künstliche Beleuchtung zurückzugreifen. Irgendwie hätte sich das wie eine kleine Niederlage angefühlt. Tja, wenn das Blut in der Beinmuskulatur benötigt wird, ist für logisches Denken nicht mehr genug davon in der Großhirnrinde vorhanden. Wengam Gesehenwerden warats gwesn...

Wie auch immer: Nach den finalen zwei Straßenkilometern waren wir am Ziel. Peigarten hatte uns wieder.

Statt den von mir geschätzten dreizehn Stunden hatten wir für die 60 Kilometer ziemlich genau zehn gebraucht - danke, Mrs. Pacemaker. :-)

Blasen hatte ich zwar keine an den Füßen, aber scheinbar war ich durchgefrorener, als ich gedacht hatte: Zu Hause angekommen, schüttelte mich Väterchen Frost nämlich ziemlich durch. Es könnte allerdings auch sein, dass mein Körper während der Belastung ein wenig mehr Flüssigkeit oder Nahrung vertragen hätte - oder es war eine Kombination aus all dem.

Wie auch immer, diese Wanderung war für mich ein wenig so etwas wie der Abschied von der Normalität gewesen (ja, ich weiß, böse Zungen sprechen mir diese seit jeher ab):

Bereits am nächsten Tag sollte ja der Schulbetrieb gemeinsam mit weiten Teilen des öffentlichen Lebens heruntergefahren werden, eine biedermeierlich anmutende Zeit des Einigelns sollte beginnen.

Wie sich das auf mein weiteres Training auswirken wird? Wir werden sehen. Stay tuned.