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Jahresbeginn einmal anders

Es ist genaugenommen merkwürdig: Aus irgendeinem nur bedingt logisch nachvollziehbaren Grund feiern Millionen von Menschen mehr oder minder gleichzeitig – die Zeitzonen sorgen hierbei für eine gewisse Streuung – den Eintritt ihres Heimatplaneten in eine neue Umlaufbahn um seine Sonne. Sei es, wie es sei, dem alljährlichen Trubel um den Jahreswechsel kommt man als Mitteleuropäer schwer aus. Da man aber Feste feiern soll, wie sie fallen, ist es naheliegend, diese Zeit für etwas nicht ganz Alltägliches zu nutzen. Seit langer Zeit im Trend liegen hierbei die klassische Gehirnzelleneliminierung unter Zuhilfenahme ethanolhältiger Flüssigkeiten oder das publikumswirksame  Wegsprengen diverser Körperteile mittels fernasiatischer Kinderarbeitsprodukte vom Discounter.

Der Morgen des neuen Jahres wird somit traditionell entweder im Spital, im Gefängnis oder über der heimatlichen Klomuschel verbracht – was für den einen oder anderen Mitmenschen durchaus ein Omen für den Verlauf der restlichen 364 (heuer 365) Tage sein kann. Allerdings gibt es auch anderen Unfug, den man am ersten Jänner anstellen kann. Manche Gegenden der Welt kennen etwa den Brauch des Neujahrsschwimmens. Durchaus schräg erscheint hierbei der Umstand, dass dies meist verhältnismäßig kühle Gefilde sind: die Niederlande oder diverse skandinavische Staaten sollen hier als Beispiel dienen. Natürlich kann der gelernte Waldviertler – und das gilt ebenso für sein weibliches Pendant – nicht zurückstehen. Aus diesem Grund initiierten findige niederösterreichische Nordfrauen und -männer um Paul Wagesreither und Georg Hauer ein Event, das am 1.1.2020 erstmals über die Bühne ging: das Litschauer Neujahrsschwimmen. 

Foto: Christian Freitag, www.foto-freitag.at
Foto: Christian Freitag, www.foto-freitag.at

Vorab wurde auch wiederholt zu Trainingseinheiten geladen, die exakt im Bereich der später zu bewältigenden Strecke stattfanden. Bereits an diesen Terminen fanden sich Unerschrockene ein, die ohne Rücksicht auf (gesundheitliche) Verluste testeten, wie Wasser, dessen Temperatur sich bedrohlich dem Gefrierpunkt näherte, auf ihren Organismus wirken mochte. Dass der Autor dieser Zeilen hierbei nicht fehlen durfte, liegt auf dem eiskalten Händchen. Verraten sei der durchaus erstaunliche Umstand, dass es – vor allem in der Gruppe – weder große Überwindung noch sonderlicher körperlicher Robustheit bedurfte, in den spätdezemberlichen Herrensee zu steigen. Das Planschen in so manchem sommerlichen Gewässer hatte (mir auf alle Fälle) mindestens ebenso viel abverlangt. Nein. Ehrlich: eigentlich mehr. Von kalter Luft ins kalte Wasser zu steigen, war deutlich weniger schlimm als durch die Sonne aufgeheizt in viele Grade wärmeres einzutauchen. Nach dem ersten Probeschwimmen sank also meine still-ehrfürchtige Bewunderung für jene Leute, die bereits ein solches Neujahrsschwimmen hinter sich gebracht hatten, mit derselben Rasanz wie Felix Baumgartners Prominenz nach seinem Stratosphärensprung. 

Foto: Christian Freitag, www.foto-freitag.at
Foto: Christian Freitag, www.foto-freitag.at

Genaugenommen stellte ich sogar einen gegenteiligen Effekt fest: Ich fühlte mich nach dem Bad im ein bis zwei Grad kalten Wasser nicht nur äußerst erfrischt – das wäre ja nicht weiter verwunderlich – sondern sogar gestärkt, hoch konzentriert und voller Tatendrang. Ja, noch mehr als sonst. Untypisch für einen Beamten, ich weiß. Sehr verwunderlich ist das allerdings bei näherer Betrachtung nicht. Ich bin sicher, dass das Eintauchen ins so kaltes Wasser den Körper dazu bringt, eine nicht unerhebliche Menge Adrenalin auszuschütten. Dass dieses Hormon neben unserer Bereitschaft zu Kampf oder Flucht noch andere (positive gesundheitliche) Effekte hat, habe ich bereits in einem früheren Artikel dargelegt. Im Gegensatz zu vielen Leuten in meiner Umgebung blieb mir auch jede Form von “Erkältung” erspart. Ob das mit meinen Eiswasserschwimmaktionen zu tun hatte oder nicht, kann ich allerdings nicht beurteilen. Ich werde ohnehin nie krank. Viren mögen mich nicht. Ich kann damit leben. 

Foto: Christian Freitag, www.foto-freitag.at
Foto: Christian Freitag, www.foto-freitag.at

Doch wie auch immer: Das Litschauer Neujahrsschwimmen wurde ein toller Erfolg. Etwa fünfzig Menschen jeden Geschlechts und jeden Alters (mich inklusive) stürzten sich an jenem strahlend sonnigen ersten Jänner in die erst kurz zuvor von der Eisdecke befreiten Fluten des Herrensees. Bewundert wurden sie von Presse, Fernsehen und nicht zuletzt von über tausend Schaulustigen, die es sich nicht entgehen lassen wollten, sich “de Wohnsinnigen” anzuschauen. Aber bitte nicht verraten, dass es nur halb so wild war, wie es den Anschein hatte, liebe Leserinnen und Leser. Ich stehe nämlich durchaus auf Bewunderung. Vor allem, wenn sie so leicht verdient ist.

Prosit 2020! 

Die unerschrockenen Neujahrsschwimmerinnen und -schwimmer der "Woodquarter Spartans", Foto: NÖN/Ch. Freitag
Die unerschrockenen Neujahrsschwimmerinnen und -schwimmer der "Woodquarter Spartans", Foto: NÖN/Ch. Freitag