Man kann Silvester ausgiebig feiern. Mit Sekt. Mit Feuerwerk. Mit Essen. Mit Bleigießen. Mit "Dinner for One". Womit auch immer.
Als ausgewiesener Silvester-Grinch ist das aber weniger mein Ding. Sozialphobiker wie ich feiern am liebsten allein. Maximal in ganz kleinem Kreis. Oder gar nicht.
Da kann es dann schon passieren, dass sie auf andere Ideen kommen. Zum Beispiel auf die, den klassischen Neujahrsspaziergang etwas auszudehnen und auf eine Zeit zu verlegen, zu der die
vorabendlichen Feierer und Feierinnen noch wohlig unter der Bettdecke kuscheln, zart nach Lachs müffeln und von ausgelassen tanzenden Marzipanschweinchen träumen.
Wenn dann auch noch die auf dem Smartphone installierte Wetter-App einen strahlend schönen Tag ohne Regen, dafür aber mit viel Sonne verspricht, wird schleunigst eine kleine, feine Wanderung
geplant, die der perfekte Auftakt für die kommende Umkreisung unseres Zentralgestirns sein kann.
Noch rechtzeitig vor dem Silvester-Prosten das Wanderequipment bereitgelegt, den Wecker auf fünf Uhr gestellt und man kann das alte Jahr entspannt ausklingen lassen.
Nach einem stärkenden Frühstück zieht man der nur minimal über dem Gefrierpunkt liegenden Außentemperatur entsprechend Warmes an, schwingt sich den Rucksack auf den Buckel und verlässt das Haus,
um sich im Schein der Stirnlampe auf den Weg durch den noch stockdunklen Morgen zu machen.
Eines ist garantiert: Zu dieser Zeit ist man an einem Neujahrstag auf den Wanderwegen dieser Welt ziemlich exklusiv unterwegs.
Nach einer knappen Stunde Wegzeit darf man sich dann allerdings auf eine Show der Extraklasse gefasst machen: das einzige Feuerwerk, das in seiner Pracht jedes andere locker übertrifft, das keine
Tiere tötet oder in Panik versetzt, das die Umwelt nicht verschmutzt, das absolut legal ist und keinen Cent kostet.
Man sollte es buchstäblich in Ruhe genießen. Einfach stehen bleiben. Einfach die Schönheit bewundern. Einfach den Moment erleben. Einfach sehen. Einfach fühlen. Einfach sein.
Doch auf keinen Fall zu viel denken. Das geht nämlich nicht gleichzeitig.
Irgendwann beginnen die Farben zu verblassen und die Welt, durch die man sich bewegt, erwacht. Die Welt wohlgemerkt, nicht die Menschen. Die lassen einen noch länger in Ruhe. So wandert man am besten weiter. Die Kühle macht einem die Bewegung schmackhaft, das neugeborene Jahr geizt nicht mit seinen Reizen und man weiß, dass man wieder Eindrücke sammelt, die einen lange Zeit begleiten werden.
Am besten bewegt man sich anschließend durch die Enge eines Tals. Dort wirkt die Nacht noch nach, die Schatten sind dichter. Durch die feuchte Kälte neben dem Fluss fühlt man sich dem Tod näher. Ein schönes Gefühl. Aber auch eines, das man besser nicht zu lange auskostet. Man sollte weitergehen. Zügig und entschlossen, ohne sich umzusehen.
Immerhin wartet auf der Anhöhe am Ende des Tals wieder das Leben auf einen. Dort sieht man die Sonne erstmalig an diesem Tag in ihrer vollen Gestalt. Bedächtig steigt sie höher und gibt der Welt die Wärme zurück.
Und nicht nur der Welt. Auch Nasenspitzen, Ohren und Fingern. Man war ja wieder einmal viel zu cool, um eine Kopfbedeckung oder Handschuhe mitzunehmen. Tja, man wird zwar älter, aber nur bedingt vernünftiger.
Aber man ist ja ein Mensch mit Zielen, deshalb strebt man voran, durch die um diese Zeit nach wie vor ausgestorben wirkende Bezirkshauptstadt und anschließend dem höchsten Gipfel der Gegend zu. Hat man sich aber noch gerade gefreut, dass die Sonne an Kraft gewinnt, so wird diese in Kombination mit dem beinahe militärischen Schritt, mit dem man unterwegs ist, zunehmend schweißtreibender. Und dann kommt der Moment, wenn man im Angesicht des blitzblauen Himmels klein beigibt und den Fleecepulli im Rucksack verstaut. Ja, tatsächlich, am ersten Jänner im T-Shirt zu wandern, ist mittlerweile auch abseits äquatornaher Gebiete möglich. Es sei denn, die Plattentektonik hätte das Waldviertel extrem gen Süden verlagert.
Der Charakter der Landschaft erinnert bei jenen Temperaturen massiv an den Frühling, der allerdings noch monateweit entfernt sein sollte. Wie bereits erwähnt, es ist der Neujahrstag, nicht der Ostersonntag. Und selbst dieser ist hierzulande meist deutlich winterlicher. Sei's drum, man wandert weiter. Leicht vor sich hinschwitzend, aber man wandert. Immerhin sagt das Höhenprofil, dass man ab nun tendenziell bergab unterwegs ist. Und es stimmt: Großteils geht es beschwingten Schrittes eben oder bergab dahin. Die paar kleinen Steigungen, die der Rest der Strecke noch bereithält, sind nicht der Rede wert. Im Kopf kreist deshalb auf Dauerschleife folgendes Lied:
Und weil man weiß, dass man sich bereits auf dem Rückweg befindet, kann einen auch das eine oder andere nicht mehr vorhandene Wegstück, das Forstarbeiten zum Opfer gefallen ist, kaum erschüttern. "No way is my way", wie ein alter Bekannter zu sagen pflegt. Dem Wetter ist auch geschuldet, dass man sich weniger auf einen wärmenden Tee als auf ein kühles Bier zu Hause freut. Doch egal - Hauptsache, man freut sich auf irgendetwas. Und so wandert man beschwingt durch den ersten Tag des neuen Jahres, die Sonne auf der Haut, einen Evergreen im Ohr und schön langsam Hunger in den Eingeweiden.
Zu Hause wird auf alle Fälle erst einmal ausgiebig gefuttert.
Das hat man sich nach einem Neujahrsspaziergang mit ziemlich genau vierzig Kilometern Länge dann auch verdient.
Mahlzeit.