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Minimalvorbereitung

Nachdem der geplante finale Trainingsmarsch fürs „Fitte Waldviertel“ vorige Woche glorios an der mangelnden Bereitschaft gescheitert war, bei Sturm und Regen knappe 70 Kilometer unter die Schuhsohlen zu bringen, gab es nur zwei denkbare Möglichkeiten: Jedes Mitglied unserer kleinen, feinen Wandertrainingsgruppe machte allein ausreichend viele Kilometer oder überließ es dem Glück beziehungsweise dem eisernen Willen, die 100-Kilometer-Strecke am 08.10. zu überstehen.

Ich zog es vor, meinen Körper nach langer Zeit, in der ich lediglich Kraft trainiert hatte und gelaufen war, noch einmal daran zu erinnern, dass er auch die Fortbewegungsart „Gehen“ im Repertoire hat.

Da jedoch das letzte Wochenende vor der Veranstaltung terminlich vollkommen zugekleistert war, blieb mir nichts anderes übrig, als das Wandertraining in den Alltag einzubauen. In meinem speziellen Fall bedeutete dies, den Schulweg auf Schusters Rappen zurückzulegen. Zweimal etwa 22 Kilometer mit etwas Unterrichten zwischendurch sollten als Generalprobe reichen.

 

So brach ich also am 30.09.22 kurz nach drei Uhr auf, um das stockdunkle nördliche Waldviertel zu durchqueren. Es regnete nicht, die Temperatur befand sich zwar im einstelligen Bereich, war aber durchaus angenehm und meine Motivation war immens hoch. Ja, das erkennt man ansatzweise sogar am ersten Selfie des noch jungen Tages.

Da ich im Dunkeln nicht unbedingt durch das Schlafzimmer der ortsansässigen Tierwelt poltern wollte, wanderte ich auf den Straßen und nicht durch den Wald. Um diese Uhrzeit war das verkehrstechnisch kein Problem. Zu jeder anderen Uhrzeit ist das in jener Gegend übrigens auch kein Problem. Das sei aber nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Es ging flott dahin, mein Atem bildete malerische weiße Wölkchen im Schein der Stirnlampe, die Fleecejacke wanderte bald in den Rucksack, aus den Kopfhörern des MP3-Players flutete Countryrock meine Gehörgänge und das Leben war schön.

Ja, es war wieder einmal eine etwas schräge Aktion: Wer geht schon zu Fuß 22 Kilometer in die Arbeit? Noch dazu im Stockdunklen? Obwohl ein funktionierendes, vollgetanktes Auto und ein ebensolches Motorrad in der Garage des Wanderers stehen? Egal. Logik und gesunder Menschenverstand waren noch nie meine liebsten Begleiter.

 

Nach etwa dreieinhalb Stunden und im Morgengrauen erreichte ich die nördlichste Stadt Österreichs, wo auch meine Schule stand. Oder besser steht. Hoffentlich.

Ich unterhielt dort unsere Erstklässler mit der einen oder anderen Lebensweisheit, mit Schreibtipps und meinem (glücklicherweise) einzigartigen Humor. Dann folgten noch einige Gespräche im Kollegenkreis und schon bald befand ich mich marschierend wieder auf dem Weg Richtung meinem Wohnort. Diesmal jedoch im Hellen, bei durchaus akzeptablen Wetterbedingungen und nach wie vor bestens gelaunt. Das erkennt man hoffentlich am zweiten Selfie des Tages. Im Gegensatz zum Hinweg verwendete ich auf dem Rückweg nun auch Wald- und Feldwege. Untertags plagt mich da gewöhnlich kein schlechtes Gewissen. Und die Orientierung ist auch einfacher als in der Nacht.

Wenige hundert Meter vor dem Ziel, also meinem Häuschen, führte ich noch ein kurzes Gespräch mit einer älteren Frau, die gerade ihren Vorgarten auf Vordermann brachte und mich im Hinblick auf meine Kleidung und den Rucksack mit den Worten „Das Wandern ist des Müllers Lust!“ und einem breiten Grinsen ansprach. Längere Wandertouren seien bis vor kurzem auch noch ihr großes Hobby gewesen. Ja, Bewegung hätte ihr Leben stets erst lebenswert gemacht. Stillzusitzen oder den Tag vor dem Fernsehapparat zu verbringen, könne sie sich nicht vorstellen. Dann erzählte sie schwärmerisch von den Bergtouren, die sie mit ihrem Mann unternommen hätte, als dieser noch am Leben gewesen sei. Von Abenteuern in der Natur. Von Hüttenabenden. Davon, dass sie Alkohol immer gemieden habe – außer dem einen Bier, das ihr Mann und sie sich zum Abendessen geteilt hätten. Nach ihrem Aussehen zu urteilen, war ich der Meinung, sie sei eine (einst sicher sehr attraktive) junggebliebene Siebzigjährige – und selbst dafür bewegte sie sich außerordentlich flüssig und kraftvoll. Umso erstaunter war ich, als sie mir erzählte, dass sie bereits 90 Jahre alt sei.

Es war wie der sprichwörtliche Zaunpfahl, den das Schicksal vor meiner Nase zu schwenken schien: Diese Frau war das beste Beispiel dafür, dass ein aktiver Lebensstil – wenn auch in Kombination mit guter Genetik – dem Leben eine ungeahnte Qualität geben, ja, regelrecht eine Generation gutmachen kann.

 

Ich beschloss fitnesstechnisch dranzubleiben. Hundertprozentig. Ich kann ja eh nicht anders.