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Von Naturerlebnis und Selbstüberschätzung

Vielleicht geht es ja nur mir so, aber ich habe massiv den Eindruck, dass die - vermeidbaren - Bergrettungseinsätze zunehmen. Quasi täglich müssen Bergwanderer, Klettersteiggeher oder Mountainbiker (alles natürlich geschlechtsneutral gemeint) aus misslichen Lagen geborgen werden. In den meisten Fällen tauchen in den Medienberichten die Wörter "Erschöpfung", "Überforderung", "Fehleinschätzung" etc. auf. Dass die Rettungskräfte bei diesen Einsätzen oftmals selbst ihre Gesundheit aufs Spiel setzen oder auch einfach nur an anderer Stelle fehlen, ist ein weiteres Negativum dieses Trends.

Meine Theorie zur Ursache jener Entwicklung ist eine nicht sehr freundliche, aber ich bin überzeugt, dass sie nicht von der Hand zu weisen ist: Ich denke nämlich, dass durchaus unsportlichen "Bewegungsanalphabeten" (auch das ist wieder geschlechtsneutral aufzufassen) mittels diverser trendiger Produkte vorgegaukelt wird, sich trotz ihrer Defizite Leistungen zutrauen zu können, die eigentlich fern ihrer tatsächlichen Möglichkeiten liegen. Was meine ich damit?

Schon seit einigen Jahren boomt der Markt der E-Bikes. Was in anderen Bereichen - Einzelfälle vielleicht ausgenommen - nicht allzu dramatisch enden wird, beschert der Bergrettung regelmäßig eine neue Form von Einsätzen:

Mountainbikerinnen und -biker kommen durch die technische Unterstützung ihrer Untersätze in Regionen, in die sie mit herkömmlichen Rädern niemals vorgedrungen wären. Einerseits birgt dies natürlich die Gefahr, die Tourenlänge zu hoch anzusetzen, andererseits aber findet man sich so auch ganz schnell in Gelände wieder, das man schon aufgrund mangelnder Fahrtechnik - noch dazu mit einem übermäßig schweren Bike und vor allem bergab - nicht mehr bewältigt.

Spätestens dann sollte der oder dem Hilflosen klar sein, dass sie oder er gut daran getan hätte, vorab unter professioneller Anleitung an der Fahrtechnik zu arbeiten sowie die notwendige Muskulatur und Koordination zu entwickeln.

Foto: Elias Vajk
Foto: Elias Vajk

Auch eine andere Sportart beschert den alpinen Einsatzkräften immer wieder vermeidbare Arbeit: das Begehen von Klettersteigen. Diese Aktivität erlebt in den letzten Jahren auch einen bisher nicht gekannten Aufschwung (im wahrsten Sinne des Wortes), der ebenfalls zwei Seiten hat: Einerseits ist es natürlich begrüßenswert, dass mehr Menschen ihre Freizeit aktiv und fordernd in der Natur verbringen wollen, andererseits aber scheint sich in den Köpfen vieler Gelegenheitsalpinistinnen und -alpinisten die Überzeugung durchgesetzt zu haben, dass Klettersteige ohne oder nur mit minimaler körperlicher Vorbereitung begangen werden können. Auch hier vermittelt die Technik in Gestalt von Gurt, Klettersteigset und Helm eine trügerische Sicherheit, wie sie beim Sportklettern (bei dem ein Sturz in der Regel sogar meist weniger dramatisch endet) merkwürdigerweise nicht zu beobachten ist.

Foto: Elias Vajk
Foto: Elias Vajk

Vom Umstand einmal abgesehen, dass sich Menschen immer wieder in die Berge begeben, ohne sich gewisser alpiner Gefahren (wie plötzlicher Wetterumschwünge) bewusst zu sein, verlassen sich viele eben auch auf die bereits genannten vermeintlich "deppensicheren" technischen Krücken. Wenn einen diese aber an Stellen führen, an die man eventuell sonst nur in kleineren Entwicklungsschritten gelangt wäre, kann das fatale Folgen haben.

 

Mein Appell an die Leserinnen und Leser dieses Artikels lautet daher:

Bereitet euch körperlich und mental auf die Anforderungen vor, die euch am Berg erwarten können, nutzt die Technik, aber seht sie nicht als Ersatz für eure eigenen Fähig- und Fertigkeiten, geht mit Spaß und Enthusiasmus in die Natur, vergesst aber nicht, dass diese kein Computerspiel-Level oder eine künstlich generierte Entertainment-Umgebung ist. Selbst bei vorbereiteten Abenteuern - die Seilbrücke auf dem unten stehenden Bild wäre ein solches Beispiel - seid ihr selbst für euer Verhalten verantwortlich.

Und das muss man bereits in der Vorbereitung richtig einüben, um nicht sich selbst oder andere zu gefährden.

Wer dabei Hilfe braucht, wendet sich am besten an Alpenverein und Co. - dort findet ihr die Spezialisten, die euch fit für euer erstes alpines Abenteuer machen.

Viel Spaß und Berg heil.

So heil wie möglich.

Foto: Elias Vajk
Foto: Elias Vajk