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Raus aus dem Trott!

Will man sich in seinem Körper wirklich wohl fühlen, dann muss man ihm die Möglichkeit geben, das zu tun, wofür er von der Natur geschaffen worden ist. Nach dieser Maxime lebe ich und betätige mich dementsprechend häufig sportlich (an fünf bis sechs Tagen pro Woche), wobei ich gezielt und geplant auf die Ausbildung bzw. Erhaltung von Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Koordination achte.

Irgendwann jedoch schleicht sich in regelmäßigen Abständen in dieses durchaus sinnvolle, durchdachte, ausgewogene Bewegungsprogramm eine gewisse Eintönigkeit ein. Die Herausforderungen werden geringer, ich verlasse die Komfortzone dann kaum mehr.

Selbstverständlich profitiere ich nach wie vor von der Bewegung, aber es ist wie in vielen anderen Bereichen: Was zu einfach geht, verliert den Reiz. Kleine Änderungen sind dann keine Änderungen, ich beginne darüber nachzudenken, wie ich unter Beibehaltung der wichtigsten Trainingsmaximen aus der Routine ausbrechen kann.

Manchmal sind es Anregungen aus Büchern, Videos oder von Webseiten, die Einfluss auf mein Bewegungsprogramm nehmen. Ein gutes Beispiel hierfür war vor einiger Zeit der Trainingsplan, der den Schauspielern für ihre Rollen im Film "300" auferlegt wurde. Er brachte mich dazu, mein Krafttraining in für mich ungewohnten Belastungsbereichen zu absolvieren: 50 Wiederholungen am Stück sind in diesem Programm die Regel. Zusätzlich dazu werden großteils im Zuge funktioneller Übungen ganze Muskelketten trainiert, was für den gesamten Körper weit fordernder ist als Isolationsübungen. Aber ich schweife ein wenig ab. Entschuldigung.

Heute in der Früh kam mir nämlich etwas anderes zu Hilfe, was mich motivierte, meinem Bewegungsprogramm eine neue Dimension zu verleihen.

Einige mir bekannte liebe Menschen hatten vergangenes Wochenende am sogenannten "Mammutmarsch" bei Wien teilgenommen und dessen 100 Kilometer zwar gemeistert, allerdings in einer Zeit, die ein wenig über den ursprünglich von den Veranstaltern veranschlagten 24 Stunden lag. Eine bewundernswerte Leistung, die viel Überwindung und Durchhaltevermögen verlangte, keine Frage. Aber wäre es nicht reizvoll, das noch zu toppen? Dies würde bedeuten, schneller zu sein. Und ich meine deutlich schneller. Die 100 Kilometer müssten - zumindest zu einem großen Teil - gelaufen werden. Nicht, um irgendjemanden zu düpieren, nicht, um anzugeben, sondern lediglich mit dem Ziel, mir selbst zu beweisen, dass ich noch dazu fähig bin.

Gelaufen war ich eigentlich immer, allerdings meist ohne wirklich definiertes Leistungsziel. Es war Ausgleich zum Training mit den Gewichten oder Basis für die Teilnahme an Hindernisläufen wie dem "Spartan Race" gewesen. Manchmal bot es auch die einzige Möglichkeit, etwas gemeinsam mit meiner damaligen Frau zu unternehmen, war also wohl mehr Psychohygiene als Körpertraining.

Die Laufstrecken lagen typischerweise zwischen fünf und zwölf Kilometern Länge. Auch wenn meine Geschwindigkeit vor allem im letzten Jahr zaghaft gestiegen war, so forcierte ich das nie, es passierte wie von selbst: Je mehr ich lief, desto schneller wurde ich, ohne mich extra darauf zu konzentrieren oder daran zu arbeiten.

Doch wie sah es mit Langstrecken aus?

Oder besser: Wie sieht es aktuell damit aus?

Ist mein Körper mittlerweile zu bequem, um stundenlang zu traben? Vor einem Jahrzehnt konnte ich das noch: Damals nahm ich regelmäßig an "Dogtrekking"-Wettbewerben teil, das sind Orientierungsläufe mit Hund, die in der eintägigen Minimalversion über mindestens 40 Kilometer gehen, in der zweitägigen Standardvariante allerdings weit über 100 Kilometer betragen können. Damals war ich meistens den größten Teil der Strecke gelaufen, wenn auch mit Zugunterstützung durch einen oder zwei meiner Hunde.

Doch kann ich im Ausdauerbereich mit meinen damaligen Leistungen mithalten? Eine Frage, welche zu klären eine wirklich interessante Sache werden könnte.

Langer Rede kurzer Sinn: Ich beschloss also, an einer ähnlichen Veranstaltung, dem Megamarsch am 5. und 6. Oktober 2019, teilzunehmen, der die Teilnehmer - so auch mich - rund um die Bundeshauptstadt führen würde. Auch dies sind 100 Kilometer, auch hierfür hat man 24 Stunden Zeit. Und vor allem hätte ich bis dahin noch fünf Monate Trainingszeit. Das sollte reichen, um meine alte Form wiederzuerlangen, dachte ich.

Nach der Anmeldung über die Veranstaltungswebsite gab es kein Zurück mehr - jetzt hatte wohl oder übel die Vorbereitungsphase für mich begonnen.

Aber was genau müsste ich in meinem Training ändern? Was wäre zu ergänzen? Was vielleicht zu streichen?

Nachdem ich mich online ein wenig umgesehen hatte, war ich durchaus positiv überrascht: Meine bisherige Trainingsroutine war eine gute Basis für einen Ultralauf. Ergänzt werden musste sie lediglich durch einen wöchentlichen langen Lauf im Grundlagenausdauerbereich. Hm, das sollte machbar sein. Für Anfänger wurde da zumeist eine Distanz zwischen zehn und fünfzehn Kilometern genannt, die von Woche zu Woche etwas gesteigert werden sollte, bis man drei Wochen vor dem Bewerb auf etwa 60 bis 70 Kilometer kam.

Zusätzlich wurde geraten, sich auf diesen langen Läufen nicht zu viel zuzumuten: Die Geschwindigkeit müsste deutlich gedrosselt werden, auch bergauf zu gehen, sollte kein Tabu sein. Die Hauptsache wäre, den Körper an länger dauerndes Unterwegssein zu gewöhnen, auch unter weniger perfekten Wetterbedingungen, in der Dunkelheit oder mit Laufrucksack.

Das alles schreckte mich nicht, ich kannte es bereits - also machte ich mich nach dem für diesen Mittwoch geplanten Krafttraining noch daran, meine erste längere Laufeinheit dieser Saison zu absolvieren. 15 Kilometer sollten es mindestens sein, dachte ich, sonst wäre der Unterschied zu meinen gewohnten Laufrunden zu gering.

Um verlässlich langsam unterwegs zu sein, lud ich mir eine Playlist mit ruhiger Filmmusik aufs Handy, schaltete GPS und Tracking-App ein, schnürte meine Barfuß-Laufschuhe und machte mich auf den Weg.

Es war definitiv eine andere Art des Vorankommens. Ganz bewusst joggte ich gemütlich mit den sanften Klängen diverser Filmorchester in den Ohren durch die heimatlichen Wälder. Zwar ging ich auch bergauf nicht, meine Durchschnittsgeschwindigkeit war aber etwa eine Minute pro Kilometer langsamer als üblich. Bald fiel ich in einen äußerst entspannten Trab, atmete nicht viel tiefer als in Ruhe und genoss diesen Lauf, der keinen Ehrgeiz und kein Schielen auf das Einstellen eines bisherigen Rekords erlaubte. Ich fühlte mich, als könnte ich jene Art der Bewegung ewig durchhalten. So verging Minute um Minute - und selbst bei Kilometer zehn fühlte ich mich, als wäre ich eben erst losgelaufen. So angenehm hatte ich mir dieses Training nun auch wieder nicht vorgestellt. Es hatte fast etwas Kontemplatives.

Zwischenzeitlich begann es leicht zu regnen, der Wind frischte auf, doch ich empfand das als durchaus angenehm. Auf den letzten drei oder vier Kilometern wurde das Wetter wieder freundlicher (oder zumindest trockener) und meine Stimmung war weiterhin bestens, da mein Körper funktionierte wie eine gut eingestellte Maschine, die ganz sanft, nicht auf voller Leistung betrieben wurde. Als ich vor meinem Haus hielt, hatte ich in zweieinviertel Stunden etwa 20 Kilometer zurückgelegt. Absolut keine rekordverdächtige Zeit, aber das war auch nicht das Ziel dieses Laufs gewesen.

Ich hatte Waldwege, Feldwege, Güterwege und Straßen benutzt, war bergauf und bergab gelaufen - und hatte kein einziges Mal das Gefühl gehabt, mich anstrengen zu müssen.

Ein wirklich guter Einstieg ins Distanztraining, wie ich denke.

Und vor allem ein vertrauenerweckendes Fundament, auf dem weiter aufgebaut werden kann und wird.

Nächste Woche wird die Strecke um mindestens fünf Kilometer gesteigert.

Megamarsch, ich komme. Man sieht sich im Oktober.

Und an dieser Stelle wird dann natürlich ausführlich über den Ausgang des Selbstversuchs berichtet.

Versprochen und: Keep on running! ;-)