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Frühlingsgefühle

Heute ist der letzte Tag im April, der Tag vor der Walpurgisnacht. Benannt ist diese nach der heiligen Walburga, einer englischen Äbtissin aus dem achten Jahrhundert, deren Heiligsprechung angeblich an einem ersten Mai erfolgte, was bedingte, dass ihr dieser Tag im Mittelalter als Festtag zugedacht wurde. Mittlerweile ist der Frau allerdings der 25. Februar geweiht, ihr Todestag. Die Katholische Kirche hat ja bekanntlich einen nicht zu übersehenden Hang zur Dramatik.

Doch wie bedeutend ist diese Walburga, dass ihr ehemaliger Festtag nicht nur namentlich auf uns gekommen ist, sondern sogar bis heute – auch im Waldviertel – ausgiebig gefeiert wird? 

Gleich vorweg: Lebendig hatte sie wohl weniger Einfluss als nach ihrem Ableben. Ihre Gebeine und ihr Reisestab wurden schnell zu äußerst intensiv verehrten Reliquien, einige Krankenhäuser und ein Gymnasium in Deutschland sind nach ihr benannt, aber damit endet auch schon das Ausmaß ihrer Prominenz.

Allerdings hatte sie das Glück, dass ihre Heiligsprechung an einem uralten, für die heidnische Bevölkerung immens wichtigen Feiertag stattfand: an Beltane, dem Beginn des Sommerhalbjahres im Jahreskreis der Kelten. Ein Tag, der wohl bereits vor ihnen von anderen vorchristlichen Völkern jährlich sehnlichst erwartet worden war, läutete er doch jene Zeit ein, in der man in der Natur wieder ausreichend Nahrung fand, in der die Lufttemperatur auf angenehmere Werte kletterte und die Sonne sich wieder länger am Himmel blicken ließ. Nach dem dunklen, teilweise lebensbedrohlichen Winter eine wahre Erlösung für die Menschen der damaligen Zeit. Genaueres dazu habe ich übrigens bereits in einem meiner letzten Artikel geschrieben.

Ganz klar, dass dieses Wiedererstarken der Schöpfung, dieses Vor-Augen-Führen der Fruchtbarkeit allen Lebens für unsere Vorfahren, deren Schicksal unmittelbar von der sie umgebenden Natur abhing, ein Grund zu unbändiger Freude war.

Auch heute noch wollen Menschen sichtbar machen, was sie berührt, sie wollen Unfassbarem Gestalt geben und ihre Dankbarkeit durch Handlungen und Symbole ausdrücken. Die Kunstschaffenden unserer Zeit sind diejenigen, deren Aufgabe es ist, das auszudrücken, was der Durchschnittsmensch nur fühlen, aber nicht vermitteln kann. Und so war es wohl auch schon damals: Man ersonn Symbole und Riten, um deutlich zu machen, was man anders nicht deutlich machen konnte: die Dankbarkeit für die Wiederkehr des Lebens.

Somit war es nur logisch, dass geheiligt wurde, was Leben erschuf: die Fruchtbarkeit der Erde, aber auch die Fruchtbarkeit der Tiere – und nicht zuletzt die Fruchtbarkeit des Menschen, deren Anfang in der Sexualität liegt.

Somit wurde Beltane zum Fest der Lebensfreude, des Wachsens und Werdens, ein Fest voller Ausgelassenheit – und das oft bis heute, denkt man an manche überlieferten Maibräuche, die teilweise uralt sind. Man verband zum Beispiel die Häuser von sich (heimlich) Liebenden mit gemalten Linien oder schrieb mehr oder minder anzügliche Texte auf den Boden vor den Eingangstüren. Falls das jemandem bekannt vorkommt: Ja, dieser Brauch ist noch durchaus lebendig.

In vorchristlichen Zeiten wurde die Beltane-Nacht aber möglicherweise auch dafür genutzt, die Verschmelzung von männlichem und weiblichem Prinzip zu zelebrieren, sei das abstrahiert in kultischen Handlungen oder in ganz handfesten sexuellen Aktivitäten – oder auch in der durchaus logischen Kombination dieser beiden Elemente.

Man sieht: Religion und Lebenslust waren damals, anders als heutzutage, noch keine Widersprüche. Andererseits konnte der Katholizismus nicht alles verbieten, manches musste er zähneknirschend hinnehmen, eventuell umdeuten und ansonsten nicht allzu viel daran rühren. Ein Beispiel gefällig?

Überdimensionale Symbole der oben genannten Verbindung von Männlichem und Weiblichem, von Himmel und Erde, sind die bei uns überall bis in die Gegenwart (und wohl auch zukünftig) anzutreffenden Maibäume. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass am ersten Mai – oder je nach Region auch schon am Vortag – landauf, landab überdimensionale Phallussymbole in die Erde gesenkt werden, um diese in der kommenden Wachstumsperiode fruchtbar zu machen. Und das nicht selten direkt vor der Kirche.

Also wirklich.

Ein eher dunkleres Kapitel jener Story ist die Überlieferung vom Hexensabbath, der in jener Walpurgisnacht an manchen Orten stattfinden soll. Dieser allerdings ist letztendlich nichts anderes als die ins Negativ-Dämonische verzerrte Form der oben erwähnten vorchristlichen Kulthandlungen.  In seiner Begrifflichkeit verbindet er auf gediegen-uncharmante Weise Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus. Dafür hat er es etwa in Goethes "Faust" zu weltliterarischem Ruhm gebracht.

Besieht man sich die alten Bräuche aber näher, stellt man oft fest, dass viele von ihnen weniger Hokuspokus als ganz praktische Maßnahmen in religiösem Gewand waren. Ein Beispiel dafür ist ein Beltane-Brauch, der in manchen Gegenden Europas bis heute zu finden ist, nämlich die – kultische – Reinigung des Viehs durch Feuer, durch das es getrieben wird. Negative Kräfte und Krankheiten sollten so gebannt werden – und tatsächlich ist eine  oberflächliche Dekontamination auf jene Art und Weise durchaus möglich. Rauch wird ja auch heute noch beispielsweise gegen lästige Insekten eingesetzt, die laue Sommerabende durch ihre blutsaugerische Anwesenheit stören wollen.

Ich denke, es ist ein interessanter Ansatz zu überlegen, welchen praktischen Nutzen heute eher skurril anmutende Traditionen oder Bräuche einst gehabt haben könnten.

Denn eines ist klar:

Unsere Vorfahren waren ausreichend damit beschäftigt, sich mit der Natur und ihren Launen auseinanderzusetzen, wenn sie überleben wollten. Für Sinnloses hatten sie weder Zeit noch Energie.

Übrigens ganz anders als wir heute.

Oder?