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Halb gleichts wohl schon dem Himmelreiche

Der April steht vor der Tür und der Winter ist auch im Waldviertel endgültig Geschichte. Zumindest für einige Monate.

Zwar scheinen Wärme und Kälte noch wie im kindlichen Spiel zu rangeln, wobei einmal die eine, einmal die andere die Oberhand behält, aber es ist unübersehbar: Der Frühling hat Einzug gehalten und streichelt die Natur zurück ins Leben.

Um die Bedeutung dieses Wechsels für die Menschen früherer Zeiten in vollem Umfang erfassen zu können, muss man sich die Situation unserer Vorfahren vor Augen halten:

Man konnte sich Jahrtausende lang gegen die Winterkälte nur schwer schützen. Egal, ob man in einem Bauernhaus oder einer herrschaftlichen Burg wohnte – warme Plätze zu finden, war während eines Großteils des Jahres oberstes Gebot, sofern man an seinem Leben hing. Tür- oder Fensterdichtungen gab es nicht, es war auch unter Dach zugig und kalt. Dort, wo man sich wärmen konnte (also etwa in den Küchen der Häuser), waberte beißender Rauch, der nur träge durch die offenen Kamine oder die Ritzen der Balkendecken abzog. Die Fenster waren entweder mit Holzläden verschlossen, um sich notdürftig vor den niedrigen Außentemperaturen zu schützen, oder man hatte sie mit ölgetränkten Tüchern verhängt, was zumindest ein wenig diffuses Licht ins Innere der Häuser fallen ließ. Erst im 15. Jahrhundert kam das teure Fensterglas auf, das man aus diesem Grund auch üblicherweise nur bei Fenstern der repräsentativen Vorderfronten von Stadthäusern verwendete.

Ebenfalls zu dieser Zeit wurden langsam die Backöfen, welche bis dahin laut Verordnung wegen der akuten Brandgefahr nur in einem gewissen Abstand zu den Wohngebäuden errichtet werden durften, in die Häuser integriert, sodass Ihre Wärme an die Stuben abgegeben werden konnte.

Wer sich das Wohnklima früherer Zeiten erlebbar machen möchte, braucht sich nur im Winter auf einen rohen Dachboden oder in eine Holzscheune begeben. Recht schnell erkennt man dann, dass die Sonne, dass Wärme überhaupt, einen Stellenwert hatte, der uns zentralheizungsverwöhnten, dämmfassadenverweichlichten Neuzeitlerinnen und Neuzeitlern nur selten nachvollziehbar wird.

Von einer reichlichen Ernte beziehungsweise von der ausgiebigen Vorratshaltung hing es ab, ob man in den kalten Monaten hungerte oder nicht. Gegen Ende des Winters wurden die Nahrungsmittel wohl in den meisten Häusern knapp, die Alten und die Kinder hatten oftmals nicht überlebt, der Frühling musste den Menschen wie eine gloriose Rückkehr des Lebens vorgekommen sein. Nicht umsonst wird das christliche Osterfest, das Fest der Auferstehung, auch heute noch zu Frühlingsbeginn gefeiert. Nur in jener Zeit war ein solches Wunder für die Menschen am eigenen Leibe nachvollziehbar.

Vor etwa 800 Jahren beschrieb Walther von der Vogelweide das Frühlingserwachen so:

 

„Wenn die Blumen aus dem Grase dringen,

gleich als lachten sie zur hellen Sonne

des Morgens früh an einem Maientag,

wenn die kleinen Vöglein munter singen

ihre schönsten Weisen, welche Wonne

an solche Lust dann wohl noch reichen mag?

Halb gleichts wohl schon dem Himmelreiche…“

Man kann aus diesen Zeilen unschwer erkennen, dass der Frühling – wohl nicht nur bei den Dichtern – damals einen anderen Stellenwert hatte als zu unserer Zeit. Deutlich wird das daran, dass der Rest des Textes einzig der Überlegung gewidmet ist, was für den Autor wertvoller sei: der Monat Mai oder die Liebe einer Frau. Alternativen, die für uns Heutige nicht unbedingt zusammenpassen wollen.

Für die nach langen Monaten des Frierens endlich in die warmen Sonnenstrahlen blinzelnden Zeitgenossen Walthers waren sie allerdings bestens verständlich.