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Hitziges Frieselfieber

Am 27. Jänner 1756 kam um etwa acht Uhr abends ein Kind auf die Welt, dessen Name einen Tag später in das örtliche Taufregister eingetragen wurde: Joannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus. Die ersten beiden Namen verweisen auf den Tagesheiligen des Geburtstags des Buben, Johannes Chrysostomos. Wobei der erste gemeinsam mit dem letzten auch eine Referenz an den Taufpaten, einen gewissen Joannes Theophilus Pergmayr, darstellt. Das aus dem Altgriechischen stammende Theophilus kann man einfach mit Gottlieb übersetzen. Der Mode der Zeit entsprechend wurde es vom Namensträger auch gern in der französischen Form Amadé verwendet. Der mittlere Vorname, also Wolfgangus, ist eine Erinnerung an den Großvater des Neugeborenen, den Juristen Wolfgang Nicolaus Pertl, der bereits viele Jahre zuvor das Zeitliche gesegnet hatte. Sein Enkel sollte diesen Vornamen allerdings bekannter machen als das dem Großvater je gelungen war. Ja, ich weiß, das war jetzt ziemlich viel und ziemlich verwirrende Information. Wenn ich aber verrate, dass das Kind in einer Wohnung des Hauses Getreidegasse 9 in der Stadt Salzburg auf die Welt kam, wird wohl der oder dem Letzten klar, um wen es sich handelt. Richtig, um Wolfgang Amadé Mozart. So unterschrieb er selbst zumindest in den meisten Fällen. Manchmal allerdings auch nur als „Wolfgang Mozart“. „Amadeus“ verwendete er lediglich in drei seiner unzähligen Briefe – und das auch nur im Scherz. Falco und Peter Shaffer hätten unter Umständen ein wenig besser recherchieren sollen.

Wie auch immer, der Kleine wurde später Profimusiker, Komponist, ziemlich prominent und darüber hinaus wohlhabend. Und auch wenn er kein allzu glückliches Händchen für Geld besaß, das verarmte Genie, als das er gern hingestellt wird, war er in Wirklichkeit nie.

So weit, so bekannt.

Bekannt ist auch, dass Mozart jung starb. Mit nicht ganz 36 Jahren. Selbst zu jener Zeit nicht gerade ein biblisches Alter. Aber woran? Wir werden sehen.

Um das weihnachtlich erleuchtete Wien zu genießen, schlenderte ich unlängst gemütlich durch die Innenstadt. Durch die Rotenturmstraße spazierte ich zum Stephansdom und dann über den Stock-im-Eisen-Platz, natürlich nicht, ohne einen Blick auf den wie jedes Jahr besonders prunkvoll erleuchteten Graben zu werfen.

Einige Meter weiter wandte ich meine Schritte in die Weihburggasse und anschließend in die Rauhensteingasse, wo ich etwas Bestimmtes suchte: eine Gedenktafel.

An der Ecke des Hauses Nummer acht stieß ich auf sie. Ihre Inschrift lautet: An dieser Stelle stand bis 1849 das Haus, in welchem Mozart am 5. Dezember 1791 gestorben ist. Gesellschaft der Musikfreunde Wien, 1927.

Und das stimmt. Hier starb der Komponist. Um fünf Minuten vor ein Uhr in der Früh. Offizielle Todesursache: hitziges Frieselfieber. Wer mit diesem Begriff nicht viel anfängt, sei getröstet – er ist keine heute noch gebräuchliche Bezeichnung einer Krankheit. Viel eher stellt er eine Symptombeschreibung dar.

Aufgrund dieser unklaren Diagnose ist bis heute Spekulationen über Mozarts Tod Tür und Tor geöffnet. Die möglichen Ursachen seines Ablebens sind so zahlreich, dass sie fast unüberschaubar wirken. Sie reichen von verschiedensten Krankheiten bis zum Giftmord. Vor allem, weil Mozarts Komponistenkollege Antonio Salieri Jahrzehnte später und im Endstadium der Syphilis in einer psychiatrischen Klinik behauptete, Mozart vergiftet zu haben. Ist jene Krankheit so weit fortgeschritten, kommt es aber typischerweise zu Amnesie, Demenz, Sprachproblemen und Lähmungen. Wie zuverlässig diese Aussage eines schwerkranken alten Mannes ist, der noch dazu als der Arriviertere der beiden gar kein Mordmotiv gehabt hätte, sei also dahingestellt. Der britische Dramatiker Peter Shaffer – ich habe ihn ja bereits erwähnt – hat diese These trotzdem zur Grundlage seines Stücks „Amadeus“ gemacht, dessen Filmversion 1984 unter der Regie von Miloš Forman in die Kinos kam. Die allermeisten (Medizin-)Historiker halten sie aber für unwahrscheinlich. Und ich persönlich aus den erwähnten Gründen auch.

Deutlich glaubwürdiger erscheinen mir die beiden neuesten Thesen zum Tod Mozarts. Und auf diese möchte ich nun näher eingehen.

These Nummer eins ist eine wunderbar geheimnisvolle, voller Intrigen, Geheimniskrämerei und Verschwörungen. Aufgestellt hat sie der 2012 verstorbene Dr. Ludwig Köppen. Er war Mathematiker und promovierter Statistiker und lehrte an der Universität Köln. Darüber hinaus war er aber auch unermüdlich dem Rätsel um Mozarts Tod auf der Spur und entwickelte aufgrund diverser Indizien seine eigene Theorie, die – wie gesagt – abenteuerlich, aber nicht komplett von der Hand zu weisen ist.

Laut ihm hatte sich Mozart in der zweiten Hälfte seines Todesjahres 1791 mit Syphilis (die man heute eher als Lues bezeichnet) infiziert und bald nach dem Ausbruch der Krankheit versucht, sich selbst mit einer damals nicht unüblichen Arznei selbst zu heilen: mit Quecksilber. Ein Experiment, das gründlich misslang, wie der Hobbyhistoriker Köppen vermutete.

Im Zentrum dieser unglücklichen Ereignisse steht der Diplomat Baron Gottfried van Swieten, der als Kunstfan auch mit dem annähernd gleichaltrigen Komponisten Mozart Umgang pflegte. Ein junger, wilder Mann mit Einfluss und sein ebenso junger wilder Protegé. Wenn dir der Name van Swieten bekannt vorkommt, liebe Leserin oder lieber Leser, dann vielleicht deswegen, weil ich im Beitrag „Vampirjäger Ihrer Majestät“ über den Vater Gottfrieds, Gerard van Swieten berichtet habe. Dieser fungierte als Leibarzt und wissenschaftlicher Berater Maria Theresias. Allerdings hatte er sich auch um die Bekämpfung der Syphilis verdient gemacht: Ihm zu Ehren war ein Quecksilber-Medikament, das damals fast 5000 Lues-Patienten das Leben gerettet haben soll, „Liquor mercurialis Swietenii“ genannt worden. Es bestand, grob gesprochen, aus Quecksilberchlorid, das in Branntwein gelöst und so getrunken wurde.

Dr. Köppen stellte die Hypothese auf, dass dieses Medikament aus dem väterlichen Nachlass in Gottfrieds Besitz gekommen war und dieser habe damit vermutlich im Sommer 1791 dem syphiliskranken Komponisten ausgeholfen. Um den 20. November wurde dann der Arzt Dr. Thomas Franz Closset zu Mozart bestellt. Auffällig ist laut Köppen, dass dieser später noch seinen Kollegen Dr. Mathias von Sallaba hinzog. Der junge Mediziner war laut dem Autor Vergiftungsspezialist. Da beide Ärzte die Symptome der Lues und der unfachmännisch durchgeführten Selbstmedikation erkannt haben dürften, erstellten sie wohlweislich keinen schriftlichen Befund. Eine weitere Ungereimtheit sieht der Autor darin, dass keine Einweisung Mozarts ins Allgemeine Krankenhaus stattfand, obwohl Dr. Closset dort als Primararzt tätig war. Sollten so eventuell heikle Fragen und Untersuchungen vermieden werden? Wollte man auf diese Weise sowohl den Ruf des Komponisten als auch seines Helfers Gottfried van Swieten schützen? Closset breitete letztendlich endgültig den Mantel des Schweigens über das unrühmliche Ende Mozarts, indem er die reichlich vage Todesursache „hitziges Frieselfieber“ dokumentierte.

Dr. Köppen führt noch einige Ungereimtheiten im Verhalten von Familie, Freunden und offiziellen Stellen an, die für ihn klare Hinweise auf einen Versuch darstellen, Wolfgang Amadé Mozarts wahre Todesursache zu verschleiern. Sein Andenken sollte laut dem Autor nicht durch den Umstand geschmälert werden, dass das Musikgenie an einer Geschlechtskrankheit gelitten und sich durch Ungeschicklichkeit selbst umgebracht hatte. „A blede Gschicht“, wie man wahrscheinlich auch damals schon in Wien gesagt hätte.

Historisch ist einiges von dem, was Dr. Köppen als Indizien deutet, nicht sonderlich stichhaltig. Manches erscheint auch nur auf den ersten Blick logisch, beim zweiten Hinsehen ist vieles nicht mehr so überzeugend.

Eine gute Story erzählt der Autor auf alle Fälle. Und einen endgültigen Gegenbeweis zu seinen Thesen kann man letztlich nicht antreten: Um die Quecksilbervergiftung nachweisen zu können, bräuchte man Mozarts sterbliche Überreste – die aufgrund der damals üblichen, nicht sehr aufwändigen Bestattung für Bürger wie ihn nicht mehr auffindbar sind.

Die zweite These wurde von einem Forscherteam unter der Leitung des Mediziners Dr. Richard Zegers von der Universität Amsterdam aufgestellt. Sie ist eine wissenschaftlich-nüchterne. Ganz ohne geheimnisvolle Zutaten, ohne Verschwörung, ohne Schuldzuweisungen. Insofern ist sie mir nicht unsympathisch. Aber ich bin ja auch ein weithin bekannter Spielverderber, wenn es um Verschwörungserzählungen geht. Die routinierten Leserinnen und Leser dieses Blogs wissen das. Egal. Zurück zur erwähnten Theorie:

Dr. Zegers und sein Team kamen zu dem Schluss, dass es die Folgen einer einfachen Halsentzündung gewesen waren, die dem jungen Komponisten das Leben gekostet hatten. Die Forscherinnen und Forscher hatten das Todesregister der Stadt Wien gezielt für die Monate rund um das Todesdatum, den 5. Dezember 1791, ausgewertet. Anschließend ergänzten sie die Ergebnisse mit den erhaltenen Berichten von Augenzeugen über Mozarts Zustand in den letzten Tagen.

Die erwähnten offiziellen Aufzeichnungen in den Archiven zeichneten ein düsteres Bild jener Zeit. Die Haupttodesursachen im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts waren Mangelernährung, „Schwindsucht“, also Tuberkulose, und „Wassersucht“, das sind Ödeme infolge von Herz- und Nierenschwäche. Auch Mozart litt kurz vor seinem Tod offensichtlich an einem Ödem: Seine Schwägerin berichtete, sein Körper sei so angeschwollen gewesen, dass er sich nicht einmal mehr im Bett umdrehen konnte. Zusätzlich dazu hatte er Ausschläge, hohes Fieber und extreme Rückenschmerzen. Doch was hatte dies alles ausgelöst? Dr. Zegers und sein Team fanden eine mögliche Antwort ebenfalls in den historischen Akten. Sie stellten fest, dass es zu dieser Zeit in Wien vermehrt Tote durch Wassersucht gegeben hatte: Während im Dezember 1790 nur 16 und 1792 gerade einmal 10 Männer unter 40 daran gestorben waren, gab es 1791 auffällige 47 (!) Todesfälle in jener Alterskategorie in Folge von Ödemen. Eines der Opfer war Mozart.

Die Ursache: Von einem Militärkrankenhaus aus verbreitete sich eine kleine Epidemie in der Stadt, deren Symptome wahrscheinlich von Streptokokken ausgelöst wurden. Infektionen mit diesen durchaus häufigen Bakterien sind heute mit Antibiotika wie Penicillin problemlos behandelbar. Mozarts Pech bestand also darin, dass er rund 150 Jahre zu früh krank wurde. Streptokokken lösen neben Scharlach mit den bekannten Ausschlägen auch weniger auffällige ansteckende Halsentzündungen aus, die ebenfalls unbehandelt zu Nierenentzündung führen können. Deren Begleiterscheinungen sind hohes Fieber und Ödeme. Alle der genannten Symptome scheinen in den Augenzeugenberichten wiederholt auf. In Kombination mit der auffälligen Todesrate junger Männer, die 1791 in Wien an Wassersucht verstorben sind, ergibt sich so ein ziemlich schlüssiges Bild.

Dr. Richard Zegers und sein Team waren nach ihren Untersuchungen überzeugt, die wahre Ursache für den frühen Tod des Musikgenies gefunden zu haben.

Mozarts Grab auf einer Lithografie. Quelle: picture-alliance/IMAGNO/Austria
Mozarts Grab auf einer Lithografie. Quelle: picture-alliance/IMAGNO/Austria

Wie bereits erwähnt: Die möglichen Ursachen von Wolfgang Amadé Mozarts Ableben sind zahlreich. Und ob sie nun mehr oder weniger geheimnisvoll, mehr oder weniger fantasievoll, mehr oder weniger dramatisch sein mögen – was sich wirklich hinter dem „hitzigen Frieselfieber“ verbirgt, wird so schnell nicht mit hundertprozentiger Sicherheit festgestellt werden können.

Doch ungelöste Rätsel haben einen großen Vorteil: Sie stacheln neugierige Menschen an nachzuforschen. Somit ist die Möglichkeit, dass es irgendwann in mehr oder weniger ferner Zukunft zu einer endgültigen Klärung des „Falles Mozart“ kommt, noch nicht vom Tisch. Vielleicht ja durch dich, liebe Leserin oder lieber Leser.