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Der Frühlingsmörder

Südlich von Graz, der Hauptstadt der Steiermark, liegt Leibnitz. Und östlich von Leibnitz findet man die Gemeinde Straden. Dort wiederum findet man ein ganz besonderes Lokal, den Bulldogwirt. Natürlich kann man dort essen. Sehr gut sogar. Vor allem aber kann man dort staunen. Sehr ausgiebig sogar.

Und zwar deshalb, weil man an beinahe jeder freien Stelle des Lokals interessante Objekte findet, die man unbedingt etwas genauer unter die Lupe nehmen sollte. Es sind deren so viele, dass neben dem Lokal in einem extra dort wiedererrichteten Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert sowie dessen Nebengebäuden ein kunterbuntes Museum mit erhaltenswerten Dingen vor allem aus der Region eingerichtet worden ist.

Dort findet man historische landwirtschaftliche Geräte genauso wie alte Motorsägen, Haushaltsobjekte, Traktoren, Autos oder Motorräder, ja selbst eine Dampfmaschine, die einst im Stift Vorau ihren Dienst versehen hat, oder eine alte hölzerne Waschmaschine. In einem eigenen kleinen Gebäude kann man das Schmiedehandwerk live erleben, es gibt eine Selchkammer und einen traditionellen Backofen.

 

Und noch etwas gibt es dort zu bestaunen: eine gar nicht so kleine Sammlung von schmiedeeisernen Grabkreuzen. Eines davon hat mein Interesse besonders geweckt. Warum?

Wohl, weil es sich von den anderen abhebt. Deutlich.

 

Es ist eigentlich kein Grabkreuz, vielmehr eine Gedenktafel mit geschwungenem eisernen Dach, verwittert, mit weißer Schrift auf ehemals schwarzem Grund. Als Illustration dient ein unbeholfen gemaltes, von einem Pfeil durchbohrtes Herzchen. In die Umrandung der Tafel ist ein Küchenbeil eingearbeitet, eine einfache, kleine Axt, wie sie in jedem Holzschuppen bis heute zum Herstellen von Unterzündholz verwendet wird.  Alles in allem ein ziemlich merkwürdiges Objekt.

Der Text darauf gibt Auskunft über einen Mordfall, der tatsächlich so geschehen ist. Oder vielleicht auch nicht.

 

Ein Rätsel? Ein Eifersuchtsmord? Sexuelle Verhöhnung? Psychische Folter? Ein Fall für diesen Blog, würde ich meinen.

Was war damals wirklich geschehen? Handelt es sich bei dem Text auf der Tafel um eine (nicht mehr ganz) moderne Sage? Oder dient er der Erinnerung an ein tatsächliches Verbrechen?

Tatsächlich existieren sie noch, die Akten dieses Kriminalfalls, der sich in groben Zügen durchaus so zugetragen hat. Selbst zeitgenössische Medienberichte findet man noch dazu. Auch wenn die wahren Hintergründe weniger romanhaft erscheinen, so sind sie letzten Endes sogar noch grausiger, als der knappe Text auf der Tafel beim Bulldogwirt vermuten lässt.

Also noch einmal etwas genauer:

Mitten in der Nacht vom 15. auf den 16. Juni 1846 fand man die schrecklich verstümmelten Überreste des 28-jährigen Franz Weber, eines Pferdeknechts, in einem Acker. Dort, neben einer gotischen Lichtsäule, führt heute ein idyllischer Wanderweg, der sogenannte „Kulinarikweg“ vorbei. Gut, dass die erholungsuchenden Wanderer nicht wissen, was man damals dort genau fand. Der Appetit auf regionale Schmankerln würde ihnen schlagartig vergehen. Genauere Untersuchungen der Leiche – oder besser deren Teile - ergaben, dass Franz Weber erst Schläge mit einem Küchenbeil auf den Kopf bekommen hatte, dann war mit einem Messer auf ihn eingestochen worden und letztendlich hatte man ihm die Kehle durchgeschnitten. Mittels eines Pferdehalfters aus dem Stall, in dem der Mann zu seinen Lebzeiten gearbeitet und auch geschlafen hatte, hatte ihn sein Mörder von dort bis zum erwähnten Acker geschleift. Neben der Lichtsäule hatte er dem Pferdeknecht die Haut abgezogen, die Organe herausgeschnitten und diese um den Körper auf dem Feld verteilt.

Mit Sicherheit kein schöner Anblick.

Das Verbrechen erinnerte in seiner Brutalität frappant an zwei Taten, die etwa ein Jahrzehnt zuvor in der Gegend verübt worden waren. Einmal war ein 16-jähriger Jugendlicher, ein andermal der örtliche Schmied das Opfer gewesen. Beide Morde waren der Bevölkerung durch ihre bestialische Art nur zu gut in Erinnerung geblieben. Damals hatte man den Schmiedegesellen, einen gewissen Franz Edler aus Hart bei Straden, der Taten verdächtigt. Aufgrund fehlender Beweise musste man ihn nach seiner Inhaftierung damals allerdings wieder laufen lassen. Vieles deutete darauf hin, dass es sich bei dem Mord an dem Pferdeknecht um denselben Täter handelte. Als die Polizei Franz Edler dazu befragen wollte, war dieser allerdings verschwunden. Wie er später gestand, war er noch in der Mordnacht eilig aufgebrochen und hatte sich nach Ungarn abgesetzt. Sofort wurde per Steckbrief nach ihm gefahndet. Somit schien er keine Chance zu sehen, unerkannt zu bleiben und stellte sich freiwillig. Allerdings versuchte er, den Verdacht von sich auf andere zu lenken, verstrickte sich aber dabei in Widersprüche und gab letztendlich auf. Edler gestand nicht nur den Mord an dem Pferdeknecht Franz Weber, sondern auch den an dem sechzehnjährigen Anton Festl und jenen an seinem Arbeitgeber Anton Friedl.

 

Die Details der Morde waren erschreckend:

Der Jugendliche hatte Franz Edler einige Tage vor der Tat beschimpft sowie ihm einen Stein an den Kopf geworfen. Das wollte dieser nicht auf sich sitzen lassen und so lockte er den Sechzehnjährigen an einem Abend auf einen einsamen Acker. Mit einem extra zu diesem Zweck mitgebrachten Ziegelstein schlug Edler – wie die Obduktion ergeben hatte – etwa 50 Mal auf den Kopf seines Opfers ein und stach ihm abschließend noch sicherheitshalber sein Messer in den Hals. Anschließend schleppte er die Leiche des Jugendlichen zu einem nahegelegenen Teich und versenkte sie darin.

Der Dorfschmied, Edlers Lehrherr, musste deshalb sterben, weil er von dem Mord wusste. Um nicht von ihm verraten werden zu können, wollte der Geselle ihn also auch beseitigen. Edler bot sich bald eine günstige Gelegenheit: Am Nachmittag des 1. Mai 1837 war der Schmied betrunken im Wald eingeschlafen. Sein Geselle ging den Meister suchen, die Männer gerieten in Streit und Franz Edler tötete Anton Friedl mit seinem Messer. Danach wusch er sich in einem nahen Bach das Blut ab und ging, als wäre nichts geschehen, zum Abendessen. Erst spät in der Nacht kehrte er an den Tatort zurück, um seine Spuren zu verwischen. Zuerst versteckte er die Kleidung des Opfers in einem Fuchsbau. Die Leiche des Schmieds jedoch trug er zur nahen Sandgrube, wo er ihr die Haut abzog, sie zerstückelte und die Körperteile vergrub.

 

Und das letzte Opfer? War es tatsächlich Eifersucht, die Franz Edler nach neun Jahren wieder zum Mörder werden ließ? Ja und nein. Doch es ging nicht um eine gemeinsame Angebetete, es war die Wut über das Ende einer Männerfreundschaft. Der achtundzwanzigjährige Pferdeknecht Franz Weber musste deshalb sterben, weil er Edler die Freundschaft aufgekündigt hatte. Jahrelang waren die beiden ein Herz und eine Seele gewesen. Sie hatten nächtelang spielend und trinkend in den Wirtshäusern der Gegend verbracht. Damit war allerdings irgendwann Schluss gewesen: Unter dem Druck von Verwandtschaft und Bekanntschaft hatte sich Franz Weber immer mehr zurückgezogen, bis er irgendwann den Kontakt zu Edler endgültig abgebrochen hatte. Dies hatte das Ende des Pferdeknechts bedeutet, der kurz darauf erschlagen, erstochen, gehäutet und ausgeweidet von Passanten gefunden wurde.

Was geht im Kopf eines Mannes vor, der 50-mal mit einem Ziegelstein auf den Kopf eines halben Kindes einschlägt, das ihn beleidigt hat?

Was treibt denselben Mann dazu, seinen Arbeitgeber nach dessen Ermordung zuerst zu häuten und dann zu zerstückeln?

Wie denkt ein Mann, der seinen eben noch besten Freund brutal ermordet, die Haut abzieht und wie ein Tier ausweidet?

Weshalb hat er jedes seiner Verbrechen im Frühling (konkret im Mai oder Juni) begangen? War das reiner Zufall? Oder spielen hier biologische Faktoren eine Rolle, die mehr Gewalt über die Psyche eines offensichtlich geisteskranken Menschen haben, als man vielleicht auf den ersten Blick annehmen könnte? Gut, zugegeben, hiermit begeben wir uns wahrscheinlich argumentativ auf ziemlich dünnes Eis.

All das werden wir nicht erfahren, immerhin ist Franz Edler seit über 170 Jahren tot. Nach drei Jahren im Kerker wurde er am 28. Juni 1849 durch den Strang hingerichtet. Ja, ebenfalls im Frühling.