Als Lehrer nimmt man einen schulfreien Tag natürlich gern an. Ein bisschen Zeit für sich, ein bisschen Zeit für das ungestörte Korrigieren einer am Vortag geschriebenen Schularbeit, ein
bisschen Zeit für eine Laufrunde, ein bisschen Zeit, ein Regal im Badezimmer zu montieren.
Doch welchem besonderen Umstand verdankt meinereiner (Copyright Christine Nöstlinger) dieses Zeitgeschenk?
Ich bin sicher: Würde ich in Ö3-Mikromann-Manier eine Straßenumfrage starten, bekäme ich, falls überhaupt, sehr unterschiedliche Antworten.
Dann ist wohl am besten, ich gebe sie mir gleich selbst.
Und nein, normalerweise neige ich nicht zu Selbstgesprächen. Alles gut.
Die offizielle Erklärung der römisch-katholischen Kirche Österreichs auf ihrer Website lautet:
... Am 8. Dezember feiert die Katholische Kirche das "Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria" durch ihre Mutter Anna ("Mariä Empfängnis").
Dabei wird nicht - wie irrtümlich oft angenommen - die Jungfräulichkeit Mariens gefeiert, sondern die Überzeugung der Kirche, dass Maria ohne Sünde gewesen ist. ...
Soweit, so klar. Auf den ersten Blick unspektakulär. Natürlich war Maria eine Brave, denkt man da unwillkürlich. Sonst hätte sie Jesus ja gar nicht erst gebären dürfen. Logisch.
Allerdings geht es in dem Zusammenhang nicht um Kategorien wie brav oder nicht brav. Egal, ob im Hinblick auf ihr Sexualverhalten oder andere Lebensbereiche. (Erb-)Sünde bedeutet hier etwas
anderes.
Gehen Katholikinnen und Katholiken denn nicht zur Beichte, um dort ihre Sünden loszuwerden?
Und sind diese Sünden nicht genau das, was ein braves Leben konterkariert? Sie sind in den sieben Todsünden ja besonders anschaulich aufgelistet: Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und
Faulheit.
Maria hat also alle diese fiesen Verhaltensmuster nicht gezeigt. Gratulation. Doch darin ist sie im Laufe der Jahrtausende ja nicht die einzige gewesen.
Das kann also nur schwer der Grund für die Installierung eines eigenen Feiertags sein. Noch dazu eines, der in der Adventzeit, also im direkten Dunstkreis des Weihnachtsfestes liegt.
Nein, da muss mehr dahinterstecken.
Aber was?
Um das zu verstehen, muss man sich den Begriff Erbsünde ein wenig näher ansehen. Was besagt dieser?
Laut christlicher Theologie bedeutet Erb- oder Ursünde nichts anderes als den Zustand nach dem Abfall des Menschen von Gott, wie er im Sündenfall - eh scho wissen: Adam, Eva und die Schlange
- so anschaulich beschrieben wird. Etwas weniger wortreich: Der Mensch hat die Nabelschnur zu Gott gekappt. Er ist kein liebes Kind des Allmächtigen mehr. Schön blöd.
Ausgenommen davon ist nur Maria. Sie steht noch in direkter Verbindung zu Gott, ist also nicht nur die liebe Tochter, sondern durch die Geburt Jesu auch gleichzeitig Gottesmutter. Damit steht sie
der Dreifaltigkeit Gott Vater - Gott Sohn - Heiliger Geist unvoreingenommen betrachtet eigentlich in nichts nach. Wenn da nicht dieses allgegenwärtige patriarchalische Denken in der
römisch-katholischen Kirche wäre. Und da das nun einmal da ist, wird die gute Maria stillschweigend übersehen.
Heilige Vierfaltigkeit klingt ja auch wirklich schräg.
Auch wenn sie es nicht ganz aufs Podest geschafft hat, so hat Maria eine mehr als prominente Stelle im Figurenreigen der römisch-katholischen Kirche eingenommen.
Aber warum? Hätte man sie nicht einfach als Sidekick der Weihnachtsgeschichte das Gesicht in die Kamera halten lassen können? Warum hat man sie so aufgewertet - nur, um sie de facto in
der christlichen Alltagglaubenspraxis erst recht nicht ganz auf den Thron zu lassen?
Ich bin überzeugt, dass jenes merkwürdige Dasein im Halbschatten der Göttlichkeit daraus resultiert, dass das Christentum in seinen missionarischen Anfängen ein massives Imageproblem gehabt
hat:
Die europäischen Völker, die es einst von seiner Lehre überzeugen wollte, hatten durch die Bank ein Pantheon, das ganz selbstverständlich männliche und weibliche Götter enthielt. Ein rein
männlicher Gott (auch wenn er als Trinität auftrat) hätte sich mit diesen tradierten Vorstellungen schlicht und einfach nicht vereinen lassen. Und um ein Produkt zu verkaufen, muss es der Kunde
bekanntlicherweise zumindest ansatzweise verstehen. Man brauchte also eine Göttin. Doch so etwas war in der christlichen Tradition, die ja tief im jüdisch-patriarchalischen Glauben wurzelte,
nicht im Angebot. Also musste man sich eine basteln.
So wurde flugs aus Maria eine Beinahe-Göttin gemacht, indem man ihr das Menschlichste absprach: die Erbsünde, also das Losgelöst-Sein von Gott. Schon konnte die internationale Vermarktung des
Christentums kundenfreundlicher in Angriff genommen werden.
Da in den zu missionierenden Gebieten eine Vielzahl von Göttinnen angebetet wurde, etablierte sich zwangsläufig die immer stärker werdende Rolle der Heiligen im Christentum. Ehemalige Gottheiten durften nun ganz offiziell weiterverehrt werden, lediglich die Namen wurden geändert und christliche Legenden um sie gesponnen. Besonders beliebt: möglichst grausame Todesarten in bester Splattermovie-Tradition.
Priesterinnen hingegen gibt es in der römisch-katholischen Kirche bis heute nicht. Auch der Zölibat trennt - selbst wenn seine Existenz anders argumentiert wird - das Männliche vom
Weiblichen.
Nur Maria bekommt Sündenlosigkeit attestiert und darf in die Nähe des Throns rutschen.
Mir soll es recht sein, deshalb hat sie ja auch so einen kleinen, feinen Feiertag spendiert bekommen.
Und so sitze ich bis heute am achten Dezember gemütlich zu Hause, danke der spätantiken PR-Abteilung der römisch-katholischen Kirche für die Aufwertung eines Teenagers, der vor zwei Jahrtausenden
im Nahen Osten schwanger geworden ist, zur Quotengöttin und klopfe Texte wie diese auf meine Website.
Weit haben wir's gebracht.