· 

Menora

Quelle: eduard-wallnoefer-platz.at
Quelle: eduard-wallnoefer-platz.at

Hochsommer in Innsbruck. Touristen schlendern durch die sonnenbeschienene Altstadt. In den Kaufhäusern glühen die Kreditkarten, was aufgrund der hochtourig laufenden Klimaanlagen lediglich Angstschweiß verursacht, und eisschleckende Kinder versuchen, ihre sonnenbebrillten Eltern zu überreden, doch endlich ins Schwimmbad zu gehen.

Der Vajk ist auf Urlaub. Der Vajk ist mittendrin. Der Vajk weiß, dass auch Innsbruck dunkle Seiten hat. Eine möchte er hiermit beleuchten. Dazu werden wir diesmal aber nicht viele Jahrhunderte zurückreisen müssen. Das 20. Jahrhundert tut es vollkommen.

Auf dem Innsbrucker Landhausplatz steht – übrigens auf Anregung von Jugendlichen – seit 1997 die Menora - ein (wie ich finde) äußerst gelungenes Mahnmal zum Gedenken an die in der Stadt ermordeten Juden der Pogromnacht 1938. Gestaltet hat es der damals 19-jährige Mario Jörg, Schüler der HTL für Maschinenbau in Fulpmes.

Doch wieso Innsbruck? Wieso ein derart prominenter Standort? Ganz einfach: Gemessen an der Anzahl der jüdischen Bevölkerung kann Innsbruck den höchsten Anteil an Ermordeten im Zusammenhang mit der von den Nazis fast schon poetisch „Reichskristallnacht“ genannten Ausschreitungen verzeichnen. Etwa 25 jüdische Familien lebten 1938 in Innsbruck – und ganz gezielt wurden vier einflussreiche Mitglieder dieser Familien brutal zu Tode gebracht.

 

Quelle: E. Kienast (Hg.): Der Großdeutsche Reichstag 1938, IV. Wahlperiode, R. v. Decker´s Verlag, G. Schenck, Berlin 1938
Quelle: E. Kienast (Hg.): Der Großdeutsche Reichstag 1938, IV. Wahlperiode, R. v. Decker´s Verlag, G. Schenck, Berlin 1938

Die Situation der Juden in Tirol war damals eine besonders gefährliche, da der örtliche Gauleiter, ein gewisser Franz Hofer, fanatisch das Ziel verfolgte, Tirol und Vorarlberg als ersten judenfreien Gau nach Berlin zu melden. Der Plan des kleinen, dicken, aber geradezu unheimlich fanatischen Emporkömmlings bestand darin, durch perfektionierte Unmenschlichkeit Legendenstatus im Dritten Reich zu erlangen. Hofer erteilte also am 10. November 1938 um ein Uhr früh den Innsbrucker Führern der Naziorganisationen wie SA, SS etc. den Auftrag, dass sich „die kochende Volksseele gegen die Juden” erheben müsse. Von dem Arisierungskommissar namens Ing. Hermann Duxneuner war eine Liste der zu überfallenden Menschen vorbereitet worden. Keine jüdische Familie sollte ungeschoren davonkommen.
Die Überfallkommandos bestanden aus selbstverständlich ideologisch überzeugten SS-Männern. Der Großteil von ihnen von ihnen setzte sich aus Nationalsozialisten zusammen, die bereits während der Verbotszeit von 1933 bis 1938 Parteimitglieder gewesen waren. Reine Überzeugungstäter also.

SS-Hauptsturmführer Hans Aichinger, der Leiter eines aus etwa zehn SS-Männern bestehenden Mordkommandos, eilte mit seinen Leuten in Zivilkleidung in die Gänsbacherstraße 5. Dort lebte Dr. Wilhelm Bauer, der Chef der jüdischen Handelsorganisation, mit seiner Frau Edith im Erdgeschoß. Richard und Margarethe Graubart wohnten mit ihrer kleinen Tochter Vera im ersten Stock desselben Hauses. Die SS-Männer stiegen über den Zaun in den Garten, läuteten und schrien „Sofort aufmachen, Hausdurchsuchung!”. Dann teilte Aichinger die Gruppe. Wilhelm Bauer, der nur notdürftig bekleidet die Tür geöffnet hatte, wurde sofort in den Gang gezerrt und die SS-Männer schlugen mit den Griffen ihrer Pistolen auf ihn ein, anschließend zerrten sie ihn wieder in die Wohnung und rammten ihm ein Messer in die Brust. Einer der Täter, Robert Huttig, hielt die Frau des Opfers, Edith Bauer, im Schlafzimmer fest. Als sie ihren Mann rufen hörte, dass man auf ihn eingestochen habe, entwand sie sich dem SS-Mann. Vor der Tür des Schlafzimmers bot sich ihr ein Bild des Grauens. Wilhelm Bauer lag blutüberströmt auf dem Boden. Verzweifelt röchelte er: „Einen Arzt!” Als seine Frau zum Telefon laufen wollte, hob ihr Bewacher seine Waffe, um sie ebenfalls zu schlagen. Mit letzter Kraft beschwor der Schwerverletzte ihn, von seiner Frau abzulassen: „Sie wollen doch einer Frau nichts tun!” Robert Huttig begnügte sich schließlich damit, das Telefonkabel aus der Wand zu reißen. Dann verschwand er durch das Fenster - die Eingangstüre war von seinen Kameraden nämlich bereits von außen versperrt worden, um sicherzugehen, dass Wilhelm Bauer nicht rechtzeitig geholfen werden konnte.

In der Zwischenzeit war auch der andere Teil des SS-Trupps in den ersten Stock gelaufen und hatte Richard Graubart durch einen Dolchstoß in den Rücken ermordet. Seine Frau Margarethe und die kleine Tochter Vera waren in ein Zimmer gesperrt und die Wohnung geplündert worden. Als Edith Bauer sich aus ihrer versperrten Wohnung befreit hatte und einen Stock höher zu den Graubarts gelaufen war, rief sie vom unversehrt gebliebenen Telefon der Familie den Hausarzt an. Der traf allerdings erst etwa eine Stunde später ein. Trotzdem lebte Wilhelm Bauer zu diesem Zeitpunkt noch. Auf der Fahrt ins Spital verstarb er jedoch.

Ing. Richard Berger, der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Innsbrucks, wurde etwa zur selben Zeit von drei SS-Männern aus seiner Wohnung in der Anichstraße 13 geholt. Er musste sich in ein Auto setzen und wurde stadtauswärts gebracht. Knapp hinter Kranebitten ließ man ihn aussteigen, drückte ihn zu Boden, schlug ihm mit einem großen Stein den Schädel ein, warf ihn in den Inn und schoss noch einige Male auf den davontreibenden Körper.

Ein ebenfalls etwa zehn Mann starkes Kommando des SA-Eisenbahnersturms betrat ebenfalls in jener Nacht die Wohnung von Josef Adler und seiner Frau Gertrude im ersten Stock der Anichstraße 5.  Die Männer drangen in das Schlafzimmer ein, verprügelten das Ehepaar brutal und stahlen eine wertvolle goldene Uhr. Josef Adler trug eine Lähmung davon, seine Frau eine Gehirnerschütterung. Am nächsten Morgen veranlasste der Hausarzt der Familie die Überführung Josef Adlers in ein Spital. Gertrude Adler blieb verängstigt in der Wohnung zurück. Dem Ehepaar wurde eine Frist gesetzt, bis wann es seine Heimatstadt zu verlassen habe. Aus diesem Grund kehrte es am 3. Jänner 1939 mit der Ambulanz Innsbruck den Rücken und flüchtete nach Wien, wo Josef Adler drei Wochen später seinen Verletzungen erlag.

Diese Morde waren aber nur die Spitze der Ausschreitungen. Viele Juden wurden damals misshandelt und schwer verletzt. Angst griff um sich, Selbstmorde waren die Folge. Begonnen hatte die Ausgrenzungspolitik schon Monate zuvor. Im Vorfeld des Anschlusses von Österreich an Deutschland musste sich die jüdische Bevölkerung bei den Behörden registrieren lassen, damit sie von der Abstimmung ausgeschlossen werden konnte. Mit der Registrierung aller Juden hatten die Nationalsozialisten in weiterer Folge auch die Möglichkeit, diese Personen gezielt aus dem Alltagsleben zu drängen. Das aus dem Geschichtsunterricht bekannte Resultat dieser Politik war die Ermordung von sechs Millionen Menschen jüdischer Herkunft.

Trotzdem: Zur Errichtung des zu Beginn dieser Folge erwähnten Mahnmals schrieb Walther Prüller in der „Kronen Zeitung” einen unverhohlen antisemitischen Artikel. Der Verfasser sah keine Notwendigkeit, ein derartiges Erinnerungszeichen zu setzen. Einerseits kritisierte er die Errichtungskosten für dieses – ich zitiere - „Erinnerungs-Monstrum”, zu dessen Einweihung „500 Anhänger des mosaischen Glaubens” erwartet würden. Andererseits fragte er polemisch: „Wo steht eigentlich in Innsbruck ein Denkmal für die Hunderten bei Bombenangriffen ums Leben gekommenen Bürger?”

Man merkt schon: Der Nährboden für die geschilderten Taten wäre noch da.
Nach wie vor.