Ist der Ruf einmal ruiniert...

Es ist ein stürmischer Abend, vor den grauen Mauern der Burg Lockenhaus pfeift der Wind regelrecht verzweifelt, um die Schreie des Mädchens zu übertönen, das nackt und gefesselt im Speisesaal der Schlossherrin im eisernen Klammergriff eines hünenhaften Mannes steht. Immer und immer wieder wird das junge Ding von Bediensteten mit groben Nadeln gestochen, mit Messern geschnitten und zwischendurch brutal geschlagen, wobei die edle Dame am Tisch neben dem wärmenden Feuerkorb ungerührt ihr feudales Abendessen einnimmt. Da diese der Schreie letztendlich überdrüssig wird, werden dem Mädchen nun die Lippen zusammengenäht und – sozusagen zum Dessert – die Augen ausgestochen. Dann wird es in den Keller der Burg geschleppt, in die eiserne Jungfrau gesteckt und dadurch endlich getötet. Ihr warmes Blut gießen die Diener in einen Badezuber, in dem die Schlossherrin entspannen und ihrer nicht mehr ganz jungen Haut die notwendige Pflege zukommen lassen wird.

 

So oder so ähnlich lauten die Geschichten, die man sich von Elisabeth Bathory, der "Blutgräfin", erzählt. Sie ist zu einer legendären Figur geworden. Auf vielen ihrer Besitzungen nutzt man den Mythos, der sich um ihre Person rankt, um die Touristen anzulocken und vier Jahrhunderte nach ihrem Tod mit dieser „Lady Dracula“ ungeniert Gewinn zu machen. Sex and crime ziehen immer. Das wusste schon Leopold von Sacher-Masoch, der diese Geschichte in seinem Text „Ewige Jugend“ verarbeitete, aber auch viele weniger bedeutende Künstlerinnen und Künstler bedienen sich in allen möglichen Bereichen gerne an den Geschichten um die "Blutgräfin".

Aber was ist dran an den Legenden, die sich um Gräfin Erzsébet Bathory Nadasdy (wie sie mit korrekt geheißen hat) ranken? Mussten tatsächlich – wie überliefert – über 600 junge Frauen für ihren Schönheitskult sterben? Delektierte sie sich wirklich regelmäßig an Verstümmelungen und Folterungen willkürlich ausgewählter Opfer? Diesen Fragen möchte ich nun nachgehen.

 

Spazieren wir doch (wieder) einmal gemeinsam durch Wiens Innere Stadt, also den ersten Gemeindebezirk. Vom Michaelerplatz kommend gehen wir die Reitschulgasse entlang, an jenem Trakt der Hofburg vorbei, in welchem die berühmt-berüchtigte Spanische Hofreitschule untergebracht ist. Dann passieren wir die Stallburg, einen der wenigen Renaissancebauten der Bundeshauptstadt. Wiens Baumeister scheinen ja merkwürdigerweise fast übergangslos von der Gotik zum Barock gewechselt zu haben. Na ja, man kann nicht jede Mode mitmachen. Weiter geht’s über den Josefsplatz bis zu einem eher unauffälligen Haus in der Augustinerstraße 12. Den linken Bereich des Erdgeschoßes nimmt ein gemütliches Lokal ein und daneben befindet sich ein dunkelgrünes Holztor, das in den Hof des Gebäudes führt. Ein unauffälliges Haus. Eines wie viele andere hier in der Inneren Stadt. Wie vor Einführung der Hausnummern üblich, trägt es auch einen bezeichnenden Namen – in diesem Fall „Ungarisches Haus“, aber auch „Harnischhaus“. Beides durchaus passend. Warum, werden wir noch erfahren. Zwischen den Strebepfeilern der gegenüberliegenden Augustinerkirche kann man auch eine größere Touristengruppe problemlos deponieren, ohne den Gehsteig zu verstellen. Fremdenführerinnen oder Fremdenführern bietet sich dort die perfekte Gelegenheit, ganz entspannt ein spannendes Histörchen zum Besten zu geben: nämlich, dass in dem gegenüberliegenden Haus Elisabeth Bathory auch mit Vorliebe junge Mädchen gefoltert und getötet habe, um dann in ihrem Blut zu baden. Und ja, das Haus gehörte wirklich der Gräfin. Und ebenfalls ja, sie verbrachte hier auch gern die kalten Wintermonate, die auf zugigen, alten Burgen deutlich weniger komfortabel waren als ein modernes, mit allem Luxus der Zeit ausgestattetes Stadthaus.

Was aber ist von den Legenden zu halten, die an all ihren ehemaligen Wohnorten kursieren? Sehen wir uns einmal das an, was wir über ihre Biografie wissen.

 

Quelle: Wikipedia
Quelle: Wikipedia

Gräfin Erzsébet Bathory lebte von 1560 bis 1617. Doch sie war keine unbedeutende Landadelige, sondern die Nichte des polnischen Königs Stephan und damit Mitglied der absoluten High Society des damaligen Europas. Noch als Kind wird sie mit dem reichen Ferencz Graf Nádasdy verlobt, den sie nicht ganz vierzehnjährig heiratet. Das junge Paar - auch der Bräutigam ist gerade einmal 18 Jahre alt - lebt auf Burg Čachtice, auf Deutsch Schächtitz, in der heutigen Slowakei. Doch sie besitzen und bewohnen (nicht anders als heutige Superreiche) zahlreiche Immobilien, so auch das „Ungarische Haus“ in der heutigen Augustinerstraße.

Während Ferencz (oder auf Deutsch Franz) Nádasdy sich auf den Schlachtfeldern im Kampf gegen die Türken den martialischen Kriegsnamen „Der schwarze Ritter“ erwirbt, bleibt seine Frau recht viel allein. Auch das ist kein seltenes Schicksal einer Promigattin – weder damals noch heute. Dieser Umstand bringt aber auch mit sich, dass sie sich daran gewöhnt, selbstständig zu denken, zu handeln, zu bestimmen. Die Voraussetzungen dazu bringt sie durchaus mit: Bereits als Kind hat sie eine umfassende Schulbildung erhalten – unter anderem neben dem Ungarischen auch Sprachunterricht in Deutsch, Latein und Griechisch. Sie verwaltet die Ländereien, managt also quasi den Konzern, und bringt noch „nebenher“ fünf Kinder zur Welt. Zwei erreichen allerdings nicht das Erwachsenenalter – auch das damals keine Seltenheit. Im Jahre 1604 stirbt Graf Nádasdy. Elisabeth beerbt ihn. Ein Jahr später stirbt ihr kinderloser älterer Bruder Stefan. Elisabeth beerbt ihn. Die 45-Jährige herrscht somit autark über eine riesige Anzahl von Ländereien im heutigen Rumänien, in Ungarn, in Österreich und der Slowakei. Ihr gehören strategisch wichtige Burgen. Und Elisabeth Bathory hat noch nicht genug: Sie vergrößert durch intelligente Planung mehr und mehr ihren Einfluss und ihre Macht.

Bis der ungarische König Matthias II seinen Palatin, also seinen Stellvertreter und obersten Richter, Georg Thurzo am 29. Dezember 1610 die Burg Čachtice stürmen lässt, Elisabeth Bathory wegen vielfachen Mordes an Dienerinnen anklagt und ab 1611 unter Hausarrest stellt.

Sofort beginnen Treffen und lebhafte Briefwechsel, in denen die Kinder und Schwiegerkinder der Gräfin über die Aufteilung des riesigen Erbes der allerdings noch quicklebendigen Mutter diskutieren. Diese Diskussionen ziehen sich über Jahre hin, auch als Elisabeth Bathory in ihrem Testament ihr Vermögen ganz klar und gleichmäßig unter ihren zwei Töchtern Katharina und Anna sowie ihrem Sohn Paul Nadasdy (den sie auch zum Familienoberhaupt bestimmt) aufteilt.

Elisabeth Báthory stirbt schon am 21. August 1614 und wird in der Kirche von Čachtice beigesetzt. Ziemlich genau ein Jahr später segnet auch Elisabeths Tochter Anna kinderlos das Zeitliche und fällt somit als Erbin aus. Erst jetzt einigen sich die beiden Schwager Paul Nadasdy und Georg Drugeth von Homonna, der Mann Katharinas, auf die Aufteilung des Erbes. Eigentlich nicht sehr aufsehenerregend. Eine Handlung wie eine Soap-Opera mit den üblichen Ingredienzien wie Macht, Liebe und Intrigen, die aus Versehen halt im frühen 17. Jahrhundert spielt.

Aber nein, da ist mehr. Immerhin gilt Elisabeth Bathory bis heute als eine der gruselig-schillerndsten Figuren der europäischen Geschichte. Doch wie kommt das?

 

Burg Forchtenstein, ebenfalls einst im Besitz der "Blutgräfin"
Burg Forchtenstein, ebenfalls einst im Besitz der "Blutgräfin"

Gleich nach ihrer Festsetzung durch den ungarischen Palatin begannen zwei Prozesse gegen Elisabeth: einer auf Ungarisch, einer auf Latein – und in keinem der beiden kam sie selbst zu Wort. Das ist allerdings kein Zeichen dafür, dass es sich um Schauprozesse handelte, ganz im Gegenteil: Ein Erscheinen vor Gericht wäre für eine Frau von Gräfin Erzsébet Bathory-Nádasdys Rang ein schändlicher Gesichtsverlust gewesen. Aus diesem Grund bestanden die Prozesse im Kern aus der Protokollierung von Zeugenbefragungen. Am wertvollsten sind hier natürlich diejenigen Zeugen, die auch selbst als Täter angeklagt waren. Dies waren drei Frauen und ein Mann, die bei der Verhaftung der Schlossherrin laut dem Leiter der Aktion, Palatin Georg Thurzo, in flagranti beim Verprügeln eines Dienstmädchens in einer Kammer der Burg erwischt worden waren. Zwar wurde bei der Durchsuchung des Gebäudes auch die Leiche einer weiteren Magd gefunden, die offenbar durch Schläge zu Tode gekommen war, aber dies allein war für eine Verurteilung der Gräfin nach damaligem Rechtsverständnis noch immer zu wenig.

Somit wurden die vier Mitangeklagten weiter befragt, letztlich auch unter Folter. Man schnitt ihnen die Finger ab und verbrannte sie. Doch damit war die Causa nicht erledigt. Ein paar erschlagene Dienerinnen? Lächerlich. Daraus konnte man der Gräfin noch keinen Strick drehen. Unter Hochdruck wurde nun weitergesucht. Es wurden Zeugen aus dem Umfeld aller Besitztümer der Elisabeth Bathory befragt und nach und nach ergab sich eine Aktenlage, die auf rund 600 getötete Frauen schließen ließ. Das hätte selbst für damalige Verhältnisse ausgereicht, um sogar einen Top-Promi wie die hochwohlgeborene Gräfin Bathory-Nádasdy einem Henker zu überantworten.

Doch das passierte nicht. Warum?

 

An dieser Stelle beginnt die Geschichte meiner bescheidenen Meinung nach erst wirklich interessant zu werden. Vor allem deshalb, weil die erhaltenen Dokumente bei genauerer Betrachtung durchaus andere Schlüsse zulassen, als man im ersten Moment denken mag.

Halten wir uns zuerst einmal vor Augen, wer Gräfin Erzsébet Bathory-Nádasdy eigentlich war:

1. Sie war eine Frau. Durch ihre Erbschaften allerdings eine der wohlhabendsten und politisch einflussreichsten der damaligen Zeit. Das wusste sie genau und agierte auf dem diplomatischen Parkett des 17. Jahrhunderts auch dementsprechend selbstbewusst.

2. Sie war eine Frau. Zusätzlich war sie aber auch das Oberhaupt jener (protestantischen) Adelsfamilie, die den (katholischen) Habsburgern vor allem im Osten, also an der Grenze zum Erzfeind, dem Osmanischen Reich, regelmäßig den Einfluss streitig machte. Noch dazu waren die Bathorys nicht abgeneigt, sich zur Stärkung der Eigeninteressen auch hin und wieder mit jenem Erzfeind zu verbünden. So schafften sie es beispielsweise mit Hilfe der Osmanen, gegen den Willen der Habsburger zum Fürstengeschlecht von Transsylvanien aufzusteigen.

3. Sie war eine Frau. Allerdings eine, die in der eigenen Familie einige ebenso ehrgeizige Männer hatte, die – vor allem aufgrund der damaligen Gesellschaftsstrukturen – nicht allzu begeistert gewesen sein dürften, sich von ihrer Mutter, Schwiegermutter, Tante oder Cousine Vorschriften machen zu lassen.

Das alles sollte doch umso mehr Anlass geben, sie schnell hinzurichten, die Bathorys aufgrund der schrecklichen Verbrechen ihres Familienoberhauptes zu enteignen und die ganze Sippschaft in der Bedeutungslosigkeit verschwinden zu lassen. So oder so ähnlich dürfte auch tatsächlich der Plan von König Matthias gewesen sein. Doch hatte er die Rechnung ohne seinen obersten Richter, den Palatin Georg Thurzo, gemacht. Etwas grob könnte man Thurzos Posten mit einer Mixtur aus Bundeskanzler und Justizminister vergleichen. Nicht gerade jemand, der – selbst in einem Königreich wie Ungarn – keinen Einfluss gehabt hätte. In einer vehementen Auseinandersetzung mit dem König schaffte er es, den Prozess der Gräfin Bathory in jeder Phase unter seiner Kontrolle zu halten – und auch das Urteil maßgeblich zu beeinflussen. Doch warum diese Mühe? Die für mich schlüssigste Erklärung hierfür: Georg Thurzo war ein Cousin der Elisabeth Bathory. Die Schande ihrer Hinrichtung wäre wohl auch zu einem Teil auf ihn und seine Familie zurückgefallen.

 

 

Selbstverständlich ist es nicht einfach, nach 400 Jahren eindeutig zu eruieren, was damals tatsächlich passiert ist. Wie grausam mag Elisabeth Bathory wirklich gewesen sein? Wie schuldig war sie an den ihr zur Last gelegten Morden?

Zwei Indizien sprechen meiner Meinung nach stark dafür, dass die Gräfin Bathory-Nádasdy vielleicht nicht eben unschuldig, aber auch nicht sonderlich grausamer als viele andere Adelige der damaligen Zeit war. Beide sind sprachlicher Natur und in den Briefen zu finden, die sie an ihren Ankläger, Richter und Cousin in Personalunion, Georg Thurzo, geschrieben hat:

Erstens geht sie in keinem der Schriftstücke darauf ein, was ihr zur Last gelegt wird. Sie verteidigt sich mit keiner Silbe, sondern regt sich – ganz im Gegenteil – ausschließlich darüber auf, dass ihr überhaupt der Prozess gemacht werde. Misshandlungen bis zur Tötung von Gesinde scheinen in ihrer Welt also etwas vollkommen Normales gewesen zu sein, das keiner Rechtfertigung bedurfte. So normal und alltäglich, dass sie felsenfest davon auszugehen schien, dass ihr Cousin das genauso sah.

Noch interessanter erscheint mir allerdings eine Passage in einem ihrer Briefe, in dem sie erwähnt, nicht ebenfalls ein leichtes Opfer für ihren Cousin abgeben zu wollen. Was steckt hinter dieser Aussage? Georg Thurzo hatte zuvor bereits einige hochadelige Witwen mit Hilfe seines Einflusses um ihren Besitz gebracht. Offenbar schien für Elisabeth Bathory sonnenklar zu sein, dass es in dem Prozess lediglich darum ging, durch eine Schmutzkübelkampagne an ihre Besitztümer zu kommen.

Vielleicht aber ist auch noch ein weiterer Aspekt erwähnenswert:

Wie bereits erwähnt, hatten die Bathorys nicht gerade ein gutes Verhältnis zum Hause Habsburg. Mit dem Tod Elisabeths wurde der Einfluss der Familie Bathory aber deutlich geringer und einige Jahre später wechselte Paul Nadasdy, der Sohn der Gräfin, endgültig ins Lager der Habsburger. Georg Thurzos Plan schien aufgegangen zu sein. Ob und wenn wie federführend das Haus Habsburg hinter dem Prozess gegen Erzsébet Bathory-Nádasdy stand, ist heute natürlich nicht mehr eindeutig zu beweisen.

Nach dem Prozess wurde es schlagartig still um die Person der Gräfin Bathory. Erst etwa hundert Jahre später gelangte sie über eine sehr fantasievolle Textstelle des Jesuitenpaters Laszlo Turoczi wieder zurück in das Sagen-Pantheon Mittel- und Osteuropas. 1729 verwob er für eine Geschichte Ungarns Dichtung und Wahrheit miteinander und beschrieb erstmals die Opferung von Jungfrauen zum Erhalt der ewigen Jugend. Eine Legende war geboren.

 

Doch ein Rest Rätselhaftigkeit bleibt.

 

Wer sich also auf die Burg Lockenhaus, nach Deutschkreutz oder sogar am besten nach Wien in die Augustinergasse 12 begibt, kann in Gedanken ein wenig Rücksprache mit Gräfin Erzsébet Bathory-Nádasdy halten. Vielleicht kann sie ja ein wenig Licht ins Dunkel um ihren Prozess bringen.

Ach ja, selbstverständlich geruht die Gräfin an all den genannten und sämtlichen weiteren ihrer ehemaligen Besitztümer zu spuken. Das Leben nach dem Tod muss ziemlich stressig sein.