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Der Spinner auf dem Hügel

Ich mag Spinner, wirklich. Immerhin zähle ich mich ja selbst zu dieser Spezies: sozial nur bedingt kompatibel, den Kopf in den Wolken, die Füße stets in Bewegung. Allerdings gibt es Spinner und Spinner. Auf Basis meiner Texte zimmert sich hoffentlich niemand ein Weltbild zurecht, dass ihn dazu bringt, fremde Ethnien als minderwertig und vernichtenswert zu betrachten.

Allerdings beschwöre ich in meinen  absonderlichen Absonderungen auch nicht die pseudowissenschaftlich hergeleitete Überlegenheit einer  arischen Herrenrasse. So verquer meine schriftlichen Produkte auch sonst sein mögen - Rassismus kann man mir nicht vorwerfen.

Quelle: Wikipedia
Quelle: Wikipedia

Bei dem Herrn auf dem Bild verhält es sich etwas anders. Es handelt sich dabei um Guido List - der in späteren Jahren beschloss, sich selbst das noble "von" zu verleihen.

Er war einer der führenden Vordenker (heute würde man ihn vielleicht eher zu den Querdenkern zählen) und Urheber einer "arischen Religion". Befreundet war er mit Jörg Lanz von Liebenfels - auch dies ein erfundener Adelstitel -, der von Lists Ideen maßgeblich beeinflusst wurde. List und Liebenfels forderten die Errichtung einer elitären, reinrassig-germanischen Gesellschaft. Zwar waren sie nicht die einzigen, aber zweifelsohne sehr prominente Vertreter jener Geisteshaltung. Wer diese Ideen letztlich in die grausame Tat umzusetzen versuchte, sollte jedem Menschen bekannt sein, der es bis in den Geschichtsunterricht der achten Schulstufe geschafft hat.

Wie aber komme ich auf Herrn List? Woher mein plötzliches Interesse an einem leidlich skurrilen, rassistisch denkenden Esoteriker?

Dazu muss ich wohl etwas weiter ausholen. Keine Angst, nur verbal. Alsdann, die Gschicht war so:

Beim Schmökern in einem Buch, das ich länger nicht in Händen hatte, stieß ich auf ein Kapitel über Hausberge, ein Thema, das mich immer wieder gereizt hatte. Schon länger faszinierten mich die Vorläufer der viel populäreren Steinburgen und schon oft war ich bei der Erforschung mancher Flurnamen auf diese Bauwerke gestoßen. Leider zumeist nur namentlich. Als ein gut erhaltenes und frei begehbares Beispiel für einen Hausberg war auch jener im Örtchen Gaiselberg genannt, einer Katastralgemeinde von Zistersdorf im Weinviertel.

Es waren Semesterferien. Ich hatte ein wenig Zeit. Also los, ab in den Süden.

Die Gegend um Zistersdorf präsentierte sich nicht nur sehr frühlingshaft, sondern auch typisch weinviertlerisch: ehemaliger Meeresboden, nur ganz sanft wellig, laubbewaldet, dazwischen Äcker und Weingärten. In Gaiselberg parkte ich das Auto in einer Kellergasse, die am Rand der Wallanlage des "Guglhupfbergs" lag, wie das Gelände im Volksmund auch genannt wird. Dort traf ich auf meine Begleiterin an diesem Nachmittag - geteilte Neugier ist ja bekanntlich doppelte Neugier. Nach wenigen Schritten betraten wir die nach wie vor beeindruckende Anlage: eine dreifache, ringförmige Befestigung um einen steilen zentralen Hügel, der einst ein "festes Haus", also eine einfach Burganlage, getragen hatte. Diese bestand vom 12. bis ins 16. Jahrhundert, verfiel dann allerdings und wurde letztlich als Baumaterial für die Häuser des Dorfes wiederverwertet.

Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Gelände über ein Jahrzehnt lang archäologisch genauestens untersucht, somit weiß man heute über die (Bau-)Geschichte der Anlage genauestens Bescheid. Etwa, dass die palisadenbewehrten Ringwälle teilweise aufgeschüttet und die Gräben dazwischen künstlich vertieft worden waren. Oder, dass ein Brand Anfang des 15. Jahrhunderts das Gebäude, welches nur teilweise aus Stein errichtet war, erstmalig zerstört hatte. Wahrscheinlich war dieser zu Abrisszwecken absichtlich gelegt worden. Nicht so ein zweiter etwa 100 Jahre später, der das Ende des nachfolgenden Gebäudes besiegelte. Einen sehr ausgiebigen Grabungsbericht finden die interessierte Leserin und der interessierte Leser übrigens hier.

Einen guten Überblick über das Gelände bieten die folgenden Flugaufnahmen, in denen man die Dimensionen der Anlage gut abschätzen kann. Für Kinder übrigens ein traumhafter Ort, um Verstecken, Fangen etc. zu spielen. Was früher der Verteidigung gedient hat, bietet sich heute als Abenteuerspielplatz an.

So weit, so interessant. Doch nicht sonderlich geheimnisvoll. Beeindruckend, ja. Von mysteriös aber weit entfernt.

Guido (von) List sah das allerdings anders. Und damit wären wir wieder zum Grundgedanken des vorliegenden Beitrags zurückgekehrt. Ganz seinem romantisch-esoterisch-germanisierenden Weltbild verpflichtet, vermutete er beim "Guglhupfberg" keine hoch- beziehungsweise spätmittelalterliche, ja sogar frühneuzeitliche Wehranlage vor sich zu haben, sondern ein germanisches Heiligtum. So schilderte er in seinem 1891 erschienen Buch "Deutsch-Mythologische Landschaftsbilder" eine "Sommersonnwend-Weihenacht" auf dem Gaiselberger Hausberg. Zu dieser nahm er laut eigener Schilderung auch einen Krug Wein mit. Das sollte Folgen haben. Als er nämlich in der Dämmerung zu dem nahen Eichenwald schaute (den es heute auch noch gibt), schien es ihm, als rückte dieser immer näher heran, als wollte er das "Heiligtum" erobern. Nun ja, diesen Effekt kennt wohl jeder, der zu schnell einen Krug Weinviertler DAC leert. Allerdings werden die wenigsten Heurigenbesucher sich im Rausch zu folgenden Worten hinreißen lassen:


Oder gedenkst du, ehrwürdig Geschlecht der Eiche, mir heute deinen Gruß zu bieten, hier an altheiliger Freistatt? Ahnst du es wohl gar, dass ich von der Sippe derer, die einst in Hochgesängen Wuotan und Frouwa geheiligt? Ahnst du wohl gar in mir der Barden und Skalden einen, der heimgefunden nach tausendjähriger Irrfahrt, aus tausendjährigem Irrwahn zu Altvater Wuotan, ihm wieder Opfer zu weihen an hochheiliger Heilstatt!? Und so, alter Raunewald, du solches geahnt, so sei mir willkommen, sei mein Genosse in dieser Weihenacht bei ahnungserweckendem Tieftrunk.

 

 

Ja, es war eindeutig mindestens ein Tieftrunk zu viel, den Herr List da genommen hatte, denn als nächstes schildert er Folgendes:

 

Da erfasste mich schütterndes Grauen, aber die Verwandlung war geschehen, der auch ich nicht entgangen. Mein Hut war zum Helme geworden, von dem ein mächtiger Adlerflug wehte, eine schuppig schimmernde Brünne umschloss meinen Leib und gewichtige Waffen, die stolzeste Manneszier, waren mein Schmuck. Mein Staunen war maßlos.

 

Abgesehen davon, dass dieses Outfit weniger mit der Kleidung eines germanischen Kriegers als mit dem Bühnenkostüm eines Tenors in einer schlecht ausgestatteten Wagneroper gemein hatte, täuschten die alkoholgetränkten Gehirnzellen im Haupte des Guido (von) List sich gegenseitig: Ein Germanenheiligtum war der Gaiselberger Guglhupfberg ja nie gewesen.

 

Nach einer schönen, fast frühlingshaften Wanderrunde durch den bereits erwähnten Wald, über Felder und durch Weingärten kehrten wir in der beginnenden Dämmerung zu den Autos und damit zum Hausberg zurück. Nach wie vor erwarteten uns dort keine pyknischen germanischen Gottheiten.

Es sangen auch keine  Walküren die unsterblichen Worte aus Wagners "Rheingold": "Weia! Waga! Woge, du Welle! Walla zur Wiege! Wagalaweia! Wallala, weiala, weia!" (Um ehrlich zu sein, sind diese Zeilen noch lächerlicher als Lists literarische Ergüsse.)

Schon gar nicht erblickten unsere inneren Augen in jener Kellergasse die weihevolle Vision eines durchgeknallten antisemitischen Möchtegerngurus.

Aber flatterte da nicht eine lose Adlerflaumfeder von meiner Baseballkappe?

Nein, ich hatte mich wohl getäuscht.