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Advent, Advent, ...

So. Jetzt ist es wieder soweit: Die stillste Zeit im Jahr ist angebrochen. Jener Zeitraum, von dem Karl Valentin einst gemeint hat: "Wenn die stille Zeit vorbei ist, wird es auch wieder ruhiger."

Bedingt durch die momentane Covid-19-Pandemie und die von der Regierung verhängten Beschränkungen ist allerdings sehr wohl eine gewisse allgegenwärtige Ruhe spürbar. Keine kontemplative, eher eine erzwungen-resignierende.

Selbstverständlich könnte man aus der Not eine Tugend machen sowie den Advent zur tatsächlich stillen Zeit. Doch das ist man ja nicht gewöhnt. Das wäre etwas Neues.

 

Hier, genau hier, ist die Gefahr für den Schreiber dieser Zeilen groß, in ein allgemein gebilligtes, moralisierendes Lamentieren über die Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes und die Oberflächlichkeit der Gesellschaft zu verfallen, wie sie bei jeder besseren Schulweihnachtsfeier in Form stockend vorgetragener Spielszenen gang und gäbe ist. Nein, da finde ich die altmodischen Krippenspiele inklusive zotteliger Hirten, heiligenscheinbewehrter Engel und Christuskindlein in Form billiger Plastikpuppen noch ehrlicher. Zeigen sie doch voller Inbrunst und entwaffnender Naivität, dass man dem Weihnachtswunder seit eh und je nur vollkommen hilflos und ohne eine wirklich handfeste Erklärung gegenübersteht.

Sind wir doch ehrlich: Wer weiß denn eigentlich, was man an diesem ominösen 25. Dezember feiert?

Die Geburt eines antiken galiläischen Wanderpredigers? Und zwar, indem man einen überteuert gekauften Nadelbaum mit bunten Glaskugeln schmückt, ins Wohnzimmer stellt und eine alpenländische Melodie im Sechs-Achtel-Takt aus dem frühen 19. Jahrhundert singt? Echt jetzt? Ich denke, skurriler geht es fast nicht mehr.

Oder doch die Erlösung der Menschheit durch den Sohn Gottes? Tschuldigung, bitte: Erlösung wovon genau? Oder anders ausgedrückt: Was ist heute - also über 2000 Jahre später - im Verhältnis der (christlichen) Menschheit zu ihrem Gott besser?

Doch selbst, wenn wir die Sinnfrage des Festes außer Acht lassen: Wie kommt man eigentlich auf das Datum, an dem es gefeiert wird? Dazu gibt es einige äußerst wackelige Theorien. Die schlüssigste und aktuellste lautet ernüchternd: Es war dies die touristische Saure-Gurken-Zeit im nahen Osten der Spätantike - und sie musste mit einem Festtag gefüllt werden, der Pilger an die angebliche Geburtsstätte des Messias brachte. Wer Näheres zu jenem sehr interessanten, wenn auch ernüchternden Thema wissen möchte, dem empfehle ich den hervorragenden Artikel "Das Rätsel des Weihnachtsdatums" von Jürgen Kaube in der FAZ.

Doch egal, das Weihnachtsfest selbst ist letztlich ja gar nicht mein heutiges Thema.

Es geht um die Vorbereitung auf diesen Tag, den Zeitraum, in dem man auf die Ankunft, den "adventus" wie diese im Lateinischen heißt, wartet.

Sankt Barbara bewacht mit Kelch und Schwert jahraus, jahrein meinen Schreibtisch.
Sankt Barbara bewacht mit Kelch und Schwert jahraus, jahrein meinen Schreibtisch.

Eine der dunkelsten Gestalten der katholischen Vorstellungswelt steht mit ihrem Fest am Beginn jener Adventzeit: die heilige Barbara, mit einem Schwert angeblich an einem vierten Dezember hingerichtet. Wo ist ebenso unsicher wie wann. Eine konstruierte Heilige, der bemühte Versuch, eine heidnische Gottheit in eine christliche Form zu quetschen.

In vor allem ländlichen Glaubensvorstellungen wird sie häufig mit der heiligen Katharina und der heiligen Margareta gemeinsam gesehen. Für die „drei heiligen Madln“ gibt es folgenden Merkspruch, der auf ihre jeweiligen Attribute Bezug nimmt - immerhin musste man als bäuerlicher Analphabet früherer Zeiten ja die Heiligendarstellungen in der Dorfkirche richtig deuten können:
Margareta mit dem Wurm, Barbara mit dem Turm, Katharina mit dem Radl, das sind die drei heiligen Madl.

Dass diese Figuren eine kaum veränderte Version einer vorchristlichen Muttergöttinnentrinität sind, ist für mich eindeutig. Ihre ursprünglichen Namen sind Ambeth, Wilbeth und Borbeth in keltischen, Urd, Verdandi und Skuld in germanischen und Utrennjaja, Wetschernjaja und Polunotschnaja in slawischen  Einflussgebieten - eine offenbar in allen Ethnien, aus denen sich die antike und frühmittelalterliche Bevölkerung des Waldviertels zusammensetzte, akzeptierte Glaubensvorstellung. Klar und auch werbetechnisch geschickt, dass christliche Missionare jene Gestalten zumindest als Heilige bestehen ließen. Man muss die Leute ja stets da abholen, wo sie sich befinden. Intellektuell, körperlich, aber auch religiös.

Doch entferne ich mich gerade ein wenig vom eigentlichen Thema dieses Artikels: dem Advent.

Der Adventkranz, eine evangelische Erfindung, die auch im katholischen Österreich ein Dauerbrenner ist. Man beachte das geniale Wortspiel.
Der Adventkranz, eine evangelische Erfindung, die auch im katholischen Österreich ein Dauerbrenner ist. Man beachte das geniale Wortspiel.

Nachdem nun also endgültig Verwirrung darüber herrscht, worauf man als guter Christ im Advent denn nun tatsächlich wartet, so besteht zumindest darüber Einigkeit, dass man wartet. Und das geht ja. Einen schwachen Monat Warterei hält man aus. Vor allem, wenn man in dieser Zeit die moralische Verpflichtung hat, den Zuckerkonsum in Form von Weihnachtbäckerei und Punsch in übelkeiterregende Höhen zu treiben.

Trotzdem werde ich als gelernter Zyniker den Gedanken nicht los, dass Warten an sich ohnehin unverzichtbarer Bestandteil des Lebens der meisten Menschen ist: Warten aufs Windelwechseln, Warten auf den Schuleintritt, Warten auf die nächsten Ferien, Warten auf den Schulaustritt, Warten auf den perfekten Lebenspartner, Warten auf die Gehaltserhöhung, Warten auf den nächsten Urlaub, Warten auf den jetzt wirklich perfekten Lebenspartner, Warten auf die Pensionierung, Warten auf den nächsten Arzttermin, Warten aufs Windelwechseln (ja, ich weiß, das hatten wir schon) und schlussendlich Warten auf Gevatter Hein.

Auf diese Art und Weise verbringt man sein Leben in unzähligen Warteräumen, ohne jemals wirklich zum Onkel Doktor vorzudringen.

Aufgrund der Dezemberkälte: Christian, the red-nosed Renvajk :-)
Aufgrund der Dezemberkälte: Christian, the red-nosed Renvajk :-)

Manchen Menschen wird irgendwann klar, dass ein Leben, das aus Warten besteht, ein großteils verlorenes ist. Anderen nicht. Und diese sind in der Überzahl. In einer überwältigenden Überzahl, wie ich täglich in Konversationen erfahre.

Dieses Warten auf ein mehr oder minder undefiniertes Etwas, das eine ebenso undefinierte Erlösung bringen soll, ist ihnen zur Natur geworden. Ihr Leben ist ein freudloser Advent, eine Abfolge von Routinen, ein Verharren in einem übermächtigen "Das-ist-halt-so-da-kann-man-halt-nichts-Machen".

Ich ziehe vor, meine Erlösung selbst in die Hand zu nehmen, nicht geduckt zu verharren, bis ich aufgerufen werde. Wenn ich in diesem Tun auf Menschen treffe, die ihr Leben auch erhobenen Hauptes und frech grinsend nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten, dann freue ich mich jedes Mal wie ein Schneekönig - was ja perfekt zur Jahreszeit passt.

Ebenso schön ist, wenn ich durch meine Arbeit in der Schule oder durch meine Texte manche Leute aus dem ewigen Wartezimmer befreien kann, in das sie eine kleingeistige Gesellschaft gesetzt hat.

 

Vielleicht ist die christliche Adventzeit ja doch ein bewusster Anstoß, durch das Aussteigen aus der Alltagshektik dem Nachdenken über die eigene Lebensgestaltung mehr Raum zu geben.

Insofern bin ich mit dieser Tradition fast schon wieder versöhnt.

Darum im Anschluss noch etwas wunderbar Kitschiges.

Ich kann ja nicht dauernd nur provozieren.