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Landleben

Meine ersten Lebensjahre habe ich in der Millionenstadt Wien verbracht. Das war gut so, bot mir dieser Ameisenhaufen doch die Möglichkeit, mich mit all dem zu beschäftigen, was mich als Persönlichkeit ausmacht: Jede Ecke dort atmet (Kunst-)Geschichte, ich ging in allen Museen der Stadt, in allen Galerien, in allen Theatern ein und aus. Ich besuchte eine AHS mit künstlerischem Schwerpunkt, die damals eng mit der Akademie der Bildenden Künste am Schillerplatz vernetzt war, ich studierte Publizistik, Theaterwissenschaft, Lehramt für Deutsch und für Bildnerische Erziehung. Ich schrieb für Zeitungen und Zeitschriften, gestaltete Beiträge für Radiosender, arbeitete an Kabarettprogrammen und Drehbüchern mit, zeichnete Cartoons, machte Musik und hatte einfach Spaß am Tun und an vielen verschiedenen Projekten.

Wenn man einmal so gelebt hat, legt man das nicht mehr ab. Ich zumindest nicht.

 

Viele ehemalige Weggefährtinnen und -gefährten konzentrierten sich bald auf das, was ihnen am meisten bedeutete, einige von ihnen wurden sehr erfolgreich auf ihren Gebieten, manche sogar zu Berühmtheiten. Auch ich habe im Laufe der Jahre unzählige Male gutgemeinte Ratschläge gehört wie "Warum machst du nicht mehr von ...?"

Ganz einfach - weil es mich davon abhalten würde, anderes zu tun, was mir gleich wichtig ist.

Will man ein "Star" sein, dann muss man sein Leben einer Sache verschreiben, sich ein Ziel setzen, seinen Blick auf einen Punkt am Horizont ausrichten.

Ich denke jedoch, dass man dann vieles andere nicht mehr sieht. Vieles, was das Leben bereichert.

Für mich persönlich gilt: Die kurze Lebensspanne, die ich auf dieser Welt verbringe, möchte ich dafür nutzen, möglichst viel von dem, was mir erlebenswert erscheint, auch tatsächlich zu erfahren.

Ich möchte den Wechsel der Jahreszeiten, das Atmen der Erde spüren. Ich möchte merken, dass ich ein Teil der Natur bin, ihr durch Entdeckungsreisen, durch Sport, durch Änderung der Perspektive nahekommen. Gerade das ist der Grund, warum ich so darauf bedacht bin, meinen Körper leistungsfähig zu erhalten: Er ist mein Transportmittel, mein Werkzeug, mein Kommunikationsmedium, ein unverzichtbarer Teil meines Selbst auf ganz verschiedenen Ebenen.

 

Ich möchte Leute kennenlernen, die es wert sind, kennengelernt zu werden. Leute, die mich komplettieren, die mich wachsen lassen, die mir Wege aufzeigen, die ich bisher vielleicht übersehen habe.

Genauso wichtig ist mir aber auch, mein Dasein dafür einzusetzen, anderen Menschen Stütze zu sein. Als Lehrer, als Berater, als Freund, als Vater, als positives oder als negatives Beispiel. Egal. Wenn ich das Leben auch nur einer anderen Person irgendwann durch irgendetwas verbessern konnte, dann war mein eigenes schon  nicht umsonst.

Und ich denke, dass mir das bereits einige Male gelungen ist.

Trotzdem ist der kreative Teil in mir nicht tot, ganz im Gegenteil. Es entstehen jeden Tag Texte aus mir - Prosa wie Lyrik. Meine Parzival-Bearbeitung steht vor dem Abschluss, englischsprachige Lieder, die mich berühren, werden von mir ins Deutsche übersetzt und manchmal auch aufgenommen, ich erstelle Videos zu verschiedensten Themen, erörtere in einem wöchentlichen Podcast Schul- oder Erziehungsfragen und vieles mehr.

Zusätzlich arbeite ich mit einem hervorragenden Autorenkollegen momentan an einem durchaus innovativen Deutschbuch für den Schulunterricht.

Wie könnte ich als Lehrer denn von meinen Schülerinnen und Schülern verlangen, Texte zu produzieren, diese zu reflektieren und zu überarbeiten, wenn ich das selbst nicht tue? Dies wäre ein (wenn auch weit verbreitetes) Armutszeugnis für die Arbeitsauffassung meines Berufsstandes. Kreativität lernt man nur von Kreativen. Von niemandem sonst.

Schon allein aus diesem Grund muss ich weiter Gedanken Form geben, muss das tun, was uns wirklich erst zu Menschen macht: schöpferisch tätig sein.

Niemals darf dabei aber vergessen werden, dass wir Menschen keine eindimensionalen Wesen sind.

Neben unserem Intellekt will auch die Verbindung zum Einfachen aufrechterhalten werden. Für mich hat beispielsweise das ganz profane Holzhacken seit frühester Jugend die Funktion, den Lärm der Gedanken auszuschalten und fast meditativ tätig sein zu können.

Es erdet, es lockert, es entspannt mich.

Klingt blöd, ist aber so, um es flapsig auszudrücken.

Diese Abwechslung geistiger und körperlicher Beschäftigung findet sich übrigens auch im Klosterleben - sowohl im Zen-Buddhismus in Form des "Samu" als auch in dem Benediktiner-Grundsatz "Ora et labora".

Ich kann mich also auf durchaus traditionelle Vorbilder berufen, auch wenn mir das Mönchische doch ein wenig fehlt.

Ich lebe auf dem Land. Ich lebe gern auf dem Land. Ich werde auch den Rest meines Lebens auf dem Land leben.

Nicht, weil ich die Stadt nicht mag - ich werde etwa Wien immer wieder besuchen, mit dieser alten Dame über vergangene Zeiten plaudern oder sehen, was es bei ihr Neues gibt. Auch andere Städte, die ich bisher weniger gut kennenlernen durfte, möchte ich noch näher unter die Lupe nehmen. Zu kurz war ich bisher in London, zu wenig Zeit hatte ich in Rom, zu jung war ich, als ich Hamburg besuchte.

Nein, ich lebe auf dem Land, weil es mir die Möglichkeit gibt, Mensch in all meinen Facetten zu sein:

Ich will die Gedanken anderer Autoren in deren Büchern lesen, ohne das Leben von zwei Millionen Menschen direkt um mich zu spüren. Ich möchte mich in meinen Garten setzen, blöde den Sonnenuntergang über dem Waldrand anstarren und dankbar sein, wieder einen Tag erlebt haben zu dürfen.

Was immer kommen mag, mag kommen.

Noch dreht sich meine Welt um mich.

Hoffentlich noch lange.