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Schnee

Pünktlich zu Beginn des neuen Jahres ist er in aller Munde – der Schnee. Um Missverständnissen vorzubeugen: Gemeint sind damit natürlich die Gesprächsthemen, die sich um die weiße Pracht drehen. Manche lieben sie, andere sähen sie lieber ausschließlich in menschenleere Gegenden und Schipisten verbannt.

Abgesehen davon, dass aktuell mehrere alpine Gemeinden von der Umwelt abgeschnitten sind und eine immens erhöhte Lawinengefahr herrscht, so ist der Schnee im nördlichen Waldviertel heutzutage doch eher eine lästige denn eine bedrohliche Erscheinung.

Für die meisten Kinder sogar eine erfreuliche.

Doch das war nicht immer so.

Vor rund 200 Jahren machte Frau Holle es den Kinderlein nicht allzu einfach, der damals bereits herrschenden Unterrichtspflicht nachzukommen. Der Schulweg von Illmanns nach Reingers beispielsweise nahm nach damaligen Angaben bereits eineinhalb Stunden Gehzeit in Anspruch – und zwar bei Schönwetter und guten Wegbedingungen. Heutzutage sind es über die bequem zu begehende Illmannser Straße (die allerdings damals noch nicht gebaut war) noch immer fast vier Kilometer und somit etwa die halbe Gehzeit für einen Erwachsenen.

Die sechs- bis zwölfjährigen Kinder, die diesen Weg zweimal täglich zurückzulegen hatten, mussten bei jedem Wetter den schwer passierbaren Wald zwischen Illmanns und Reingers durchwandern.

Es wundert also nicht, dass manche Bauernkinder damals dem Unterricht wochenlang fernblieben. In einem Schreiben des damaligen Dekanatsschulinspizienten (dieser Titel entspricht etwa einem heutigen Schulqualitätsmanager, vormals Pflichtschulinspektor, vormals Bezirksschulinspektor) wird festgehalten, dass die Kinder durchnässt und halb erfroren in den Schulbänken säßen, „kaum fähig, auch ihren Geist noch anzustrengen, wenn der Körper schon ganz erschöpft ist.“ Weiters vermerkt er: „Wie sollte man denn von kleinen Kindern billig verlangen können, dass sie sich durch den vielen Schnee, der in unserer Waldgegend in wenig Stunden Schuh tief, oft noch tiefer, fällt, noch eine Schulbahn brechen sollten; und wo die armen Kinder, den Rückweg antretend, keine Spur mehr von dem mühsam kurz zuvor getretenen Pfade finden, wohl aber in dem zusammengewehten Schnee sich verfallen können!“

 

Kurz, der Schulbesuch war damals für die Kinder teilweise lebensgefährlich.

Doch nicht nur der Weg selbst war das Problem, auch die Ausrüstung der Schülerinnen und Schüler ließ derselben Quelle zufolge zu wünschen übrig: „Sollen die Kinder im Winter, der hier bald anfängt, lange dauert und streng ist, eine entlegene Schule besuchen, so müssen sie mit guten Kleidern und Schuhen versehen seyn. Doch die Leute hier sind arm; daher aus dieser Rücksicht wohl mehrere Kinder im Winter gänzlich aus der Schule auszubleiben gezwungen sind.“

Abgesehen davon, dass davon ausgegangen werden muss, dass auch vor zweihundert Jahren Mütter und Väter ihre Kinder liebten, so darf auch nicht vergessen werden, dass diese darüber hinaus unentbehrliche Arbeitskräfte und die Altersversicherung für ihre Eltern darstellten. Das Ausbleiben so mancher Illmannser Kinder wäre damals also durchaus verständlich. Somit forderte Albert Müllner, der damalige Dorfrichter, eine Notschule für seine Gemeinde und das Dorf Grametten. Im Jänner 1813 brachte die Gemeinde den diesbezüglichen Antrag bei der Obrigkeit ein und erklärte sich sogar bereit, aus eigener Tasche ein Schulhaus zu bauen und den Lehrer zu bezahlen. Allerdings hatten die Beamten des damaligen Litschauer Grafen massive Bedenken, was die finanzielle Lage der Dorfbewohner betraf. Sie waren der Meinung, diese könnten keinen Lehrer ausreichend bezahlen und verweigerten somit die Erlaubnis zum Bau einer Schule.

Das Fazit war, dass damals etwa ein Fünftel der in Reingers schulpflichtigen Kinder nie einen Unterricht besuchten. Dies war zwar strafbar, wurde von den Eltern aber insofern ignoriert, als sie mehr oder minder zähneknirschend die Geldstrafen beglichen – aber trotzdem ihre Kinder nicht zur Schule schickten.

 

Wie schon in anderen Texten abschließend bemerkt: Wir sollten durchaus schätzen, dass wir im Heute leben dürfen. Das Warten an der Busstation bei Schlechtwetter ist für unsere Kinder nicht lebensbedrohlich, die Fahrt – zumindest für die kleinen Passagiere, den Fahrer vielleicht weniger – durchaus entspannt und die Schule über vertretbare Steuereinnahmen für alle finanzierbar. Sich diese Umstände hin und wieder vor Augen zu halten, tut nicht schlecht, denke ich.

Wer mehr über das Schulleben im damaligen Waldviertel erfahren möchte, findet übrigens auch im 19. und im 32. Kapitel meines Büchleins „Nordwandern“ die eine oder andere Information. Viel Spaß beim Eintauchen in eine für uns fremde Welt, die allerdings so manches erklärt, was uns heute vielleicht rätselhaft vorkommt!