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Herbstnebel

Nun ist also November, die Zeit der Herbstnebel, jenes Naturphänomens, das findige Tourismusverantwortliche dazumals veranlasst hat, das Viertel ober dem Manhartsberg als "mystisch" anzupreisen.

Die Altlasten dieser Bemühungen sind bis heute an verlängerten Wochenenden in den Supermärkten des österreichischen Nordens anzutreffen: mittlerweile aufgrund der fortgeschrittenen Lebensjahre etwas verwirrte Althippies, die im Schlabberlook vor der Gemüsetheke stehen und nach Öko-Bananen aus heimischem Anbau suchen. Seinerzeit haben sie sich einen Bauernhof als Wochenendhäuschen gekauft, um dem Stress im Büro zu entkommen, mittlerweile sind sie im wohlverdienten Ruhestand und entfleuchen zeitweise der Hitze der Großstadt, um wieder ihre innere Mitte zu finden. Oder zumindest den Rasen zu mähen.

Wieso aber haftet dem Waldviertel der Ruf, besonders mystisch zu sein, an wie ein Hundstrümmerl einer Schuhsohle?

Liegt die Schuld hier ausschließlich bei der Tourismuswerbung?

Und vor allem: Wie kam diese damals darauf?

 

Ich denke, dieser Nimbus erwächst aus geschichtlichen Umständen. Umständen, die so weit zurückreichen, dass der Gemeinplatz, den sie speisen, längst zu einer fixen Konstante in den Hirnen der Österreicherinnen und Österreicher geworden ist.

Also, reisen wir zurück.

Weit über 1500 Jahre.

Das Waldviertel war damals ein uferloser, schwer durchdringlicher Urwald voller Sümpfe.

So wie übrigens der Großteil Europas, also eigentlich nichts Besonderes.

Es wurden in jenen Wäldern keine Produkte hergestellt, für die es sich lohnte, Handel zu treiben oder Einheimische abzuschlachten. Aus diesem Grunde bemühte sich die damals vorherrschende Supermacht im europäischen Raum, Rom, auch gar nicht, sich dort wichtig zu machen. Die Römer interessierten sich schlicht und einfach viel zu wenig für Gebiete, die ihren Reichtum nicht vermehren konnten und strategisch auch nicht von Bedeutung waren. Politisches Denken folgt bis heute offenbar den selben Gesetzmäßigkeiten.

Die Bewohnerinnen und Bewohner der Silva Nortica - erst keltischer, später germanischer Provenienz - wären aber durchaus nicht abgeneigt gewesen, in südlichere Gebiete auszuwandern. Deshalb schützte der große Bruder Rom seine Außengrenzen mit auch heute durchaus probaten Mitteln: einer Mauer und militärischer Präsenz entlang jenes Bollwerks, des so genannten Limes.

Blöd nur, dass für Grenzen damals wie heute die nämlichen Gesetze gelten: Wer andere aussperrt, der sperrt sich selbst auch ein.

 

Als die Römer nun eines Tages die epochale Erkenntnis gewannen, dass Intellekt mindestens ebenso gefährlich sein könne wie Waffen, begannen sie, die geistige Elite der Kelten, die Druiden, mehr oder minder systematisch zu verfolgen. Diese gingen entweder in den Untergrund oder versteckten sich in Gegenden, auf die Rom keinen Zugriff hatte - zum Beispiel auch in den uneroberten Wäldern nördlich des Limes.

Manche der alten Orts- und Flurbezeichnungen lassen darauf schließen, dass die Druiden wahrscheinlich bereits zuvor in abgeschiedenen Gegenden Ausbildungsstätten betrieben hatten, wie auch der römische Schriftsteller Marcus Annaeus Lucanus im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt berichtete. Nach und nach wurden diese "keltischen Universitäten" wohl Zufluchtsorte für die politisch verfolgte Gelehrtenschaft.

 

Naheliegend ist daher, dass manche klar als keltisch erkennbaren Versatzstücke diverser Waldviertler Sagen als Erinnerungen an die Gelehrten- und Dichterschaft (Wissenschaft und Kunst waren damals eng verknüpft) jenes Volkes gewertet werden können.

Und da gute Christen die alten Symbole und Riten in diesen Geschichten ebenso rätselhaft finden müssen wie die Überreste vorchristlicher Kultstätten, so wurde aus der ehemaligen Zuflucht einer geistigen Elite eine mehr und mehr mystifizierte Märchenlandschaft.

 

Falls nun jemand meint, nur im Waldviertler Sagenschatz wirkten keltische Glaubensvorstellungen nach, der irrt natürlich gewaltig. In diversen Alpensagen finden sich diese oft noch deutlicher und häufiger. In unwegsames Gebirge wagten sich die Römer nämlich auch nur mit äußerst gemischten Gefühlen und somit recht unmotiviert vor. Dementsprechend ungestört konnten sich dort auch uralte Traditionen halten.

Da aber die Alpen heute als Tourismusmagnet besser funktionieren und einfacher zu bewerben sind als verstaubte Geschichten und merkwürdige Bräuche, hält das Waldviertel fast unangefochten das Mystikmonopol.

 

Und das zu kultivieren, bietet sich natürlich an, keine Frage:

Eine Hochebene, in der aufgrund der klimatischen Bedingungen der Herbstnebel tatsächlich eine konstante Größe bildet, schreit ja förmlich danach, als österreichisches Gruselkabinett vermarktet zu werden.

Dass das allerdings nur bedingt funktioniert, zeigte die schnell und dramatisch an akutem Umsatzmangel verstorbene "Anderswelt" in Heidenreichstein. Übersinnliche Phänomene wurden dort dereinst in eine Mischung aus Museum und Geisterbahnfahrt verpackt, die jedoch nicht überzeugen konnte.

Mit Essen und Trinken ködert man die Leute besser, wie man an der mittlerweile schon lange am selben Standort bestehenden "Käsemacherwelt" sehen kann.

Und was ist vom "mystischen Waldviertel" außer den eingangs erwähnten Supermarkthippies geblieben?

Nicht allzu viel:

Heidenreichsteins Literaturfestival "Literatur im Nebel" (das alljährlich im ziemlich nebelfreien Frühjahr stattfindet) sowie der eine oder andere Esoterikworkshop für nach Bewusstseinserweiterung lechzende Städterinnen und Städter.

Die Waldviertelwerbung stellt Wellness-, Kultur-, Wander- und Radtourismus in den Vordergrund.

Das ist ganzjährig vermarktbar.

Wer weiß denn schon, wann der Klimawandel dem Waldviertler Herbstnebel endgültig den Garaus macht?