Bäcker, Blut und Beuschel

Wo immer wir uns bewegen, wir sind dort in den seltensten Fällen die ersten. In längst erschlossenen Gebieten wie Österreich eines ist, schon gar nicht. Jeder Ort hat seine Geschichte, jeder Ort hat Taten gesehen, die wir oftmals nicht wissen. Ja, sogar Taten, die wir unter Umständen gar nicht wissen wollen.

Könnten wir durch die Zeiten reisen, wir wären zutiefst erschrocken, was sich in unseren Gärten, unseren Häusern, auf den uns vertrauten Straßen abgespielt hat.

Man sagt: Blut verbindet. Doch es verbindet nicht nur Familienmitglieder. Es verbindet manchmal auch Orte.

So gibt es zwei Gebäude in der Bundeshauptstadt, die heute an jenen Stellen stehen, die vor über einem halben Jahrtausend durch einen bestialischen Mord verknüpft worden sind: das laut Eigenwerbung „schönste Kaffeehaus von Wien“, nämlich das „Cafe Central“ im ersten Gemeindebezirk, und das „Hundertwasserhaus“ im dritten.

Zwei Orte, die auf den ersten Blick kaum eine Gemeinsamkeit aufweisen.

 

Zwei Orte, die jedoch für einen unglückseligen Mann zu den blutigsten Stationen seines Lebens werden sollten.

Foto: Thomas Bajer
Foto: Thomas Bajer

Schauen wir zuerst im Cafe Central vorbei.

Dieses existiert seit 1876 und ist im Palais Ferstel in der Inneren Stadt, genauer gesagt in der Herrengasse, untergebracht.

Vor 500 Jahren jedoch stand an dieser Stelle das Haus des Bäckermeisters Leonhart Reisner und seiner Frau Elsbet. Die Reisners waren wohlhabend, der Betrieb ging gut und das Ehepaar konnte sein Vermögen durch geschickte Grundstückskäufe außerhalb der Stadt noch weiter steigern sowie eine beträchtliche Summe Bargeld anhäufen. Darüber hinaus waren sie glückliche Eltern einer kleinen Tochter. Eigentlich eine Idylle.

Dort, wo sich heutzutage der eine oder andere Tourist aus dem schönen Regensburg von der zutiefst österreichischen Kaffeeauswahl im Cafe Central überfordert sieht, fragte vor 500 Jahren ein ebenfalls aus dieser deutschen Stadt stammender Bäckergeselle namens Bartholomäus bei Leonhart Reisner nach Arbeit. Dieser stellte den Migranten ein, der bald nur mehr wienerisch Barthel gerufen wurde und – wie damals allgemein üblich – auch im Haus des Meisters wohnte. Dadurch nahm er auch am Familienleben teil: Er aß mit den Reisners, spielte mit der siebenjährigen Tochter und kannte auch das Geldversteck seines Arbeitgebers hinter dem Ofen in der Wohnstube des Hauses.

Nach wie vor: Eigentlich eine Idylle.

Doch Leonhart Reisner hätte nicht so vertrauensselig sein sollen. Barthel entpuppte sich mit der Zeit als Mann mit einem Hang zu zwielichtigen Freunden, Sauftouren durch die Wirtshäuser des frühneuzeitlichen Wiens und dementsprechend chronischen Geldproblemen.

Es kam, wie es kommen musste: Bäckermeister Reisner setzte den Gesellen irgendwann aufgrund seines liederlichen Lebenswandels vor die Tür. In einem Wien, dessen Einwohnerzahl damals gerade etwas mehr als ein Hundertstel der heutigen betrug, war es mit einem solchen Ruf nicht einfach, eine neue Stelle zu bekommen und Barthels Leben schien endgültig aus den Fugen zu geraten. Noch dazu stand der Winter stand vor der Tür – und so fasste er einen folgenschweren Entschluss.

 

In der Nacht vom 22. auf den 23. November stieg Barthel mit einer Axt bewaffnet in das Haus der Bäckerfamilie Reisner ein. Er schlich sich zuerst in die Dachkammer, in der er seinen Nachfolger wusste, und spaltete diesem kurzentschlossen den Schädel.

Als nächstes betrat er die Schlafkammer seiner ehemaligen Arbeitgeber und hackte wieder und wieder auf die Reisners ein, bis die beiden Eheleute leblos in ihrem blutgetränkten Bett lagen.

Als er sich umwandte und eben den Raum verlassen wollte, stand jedoch die Magd in der Tür. Sie war wohl durch den Lärm der Axthiebe geweckt worden. Barthel wusste: Es durfte keine Zeugen geben. Auf keinen Fall. Nur ein gezielter Hieb und sie brach auf der Stelle zusammen.

Nun hatte Barthel endlich den Weg frei. Er kramte die Kasse hinter dem Ofen der Wohnstube hervor und wollte gerade das Haus verlassen, als auch noch die siebenjährige Tochter der Reisners seinen Weg kreuzte. Sie starrte den blutüberströmten Mann angsterfüllt an und hielt ihm ihre Puppe entgegen. Diese sollte ihm gehören, wenn er sie am Leben ließe. Aus den Aufzeichnungen geht zwischen den Zeilen hervor, dass Barthel durchaus mit sich gerungen haben dürfte, das Mädchen, für das er einmal eine Bezugsperson gewesen war, auch noch mit der Axt zu erschlagen – letzten Endes aber tat er es.

Anschließend wusch er sich Gesicht und Hände, packte alles, was ihm wertvoll erschien ein, riss noch Kleidungsstücke des Bäckermeisters an sich und lief in die Nacht hinaus.

Doch er dachte nicht daran, sofort die Stadt zu verlassen. Zuerst gab er seinen Freunden einige Runden in einem Lokal aus, denn der plötzliche Reichtum wollte gebührend gefeiert werden. So betäubte er wohl auch das schlechte Gewissen – und ersetzte es höchstwahrscheinlich am nächsten Tag durch heftige Kopfschmerzen.

Als Barthel die Nachricht vom Fund der zerhackten Leichen im Haus seines ehemaligen Arbeitgebers zugetragen wurde, tat er natürlich dementsprechend entsetzt. Er schloss sich sogar beim Begräbnis demonstrativ dem Trauerzug an – doch sofort anschließend flüchtete er mit seinem neu erworbenen Reichtum aus Wien, um das Geld in seiner Heimatstadt Regensburg unauffälliger ausgeben zu können.

 

Doch die Suche nach dem Mörder war bereits in vollem Gange: Sehr rasch wurde der Lehrling der Reisners, ein gewisser Paul Schieckl, festgenommen. Der Mordverdacht fiel deswegen auf ihn, weil er die Blutnacht als einziger überlebt hatte. Zwar ist in den Aufzeichnungen nirgends vermerkt, wo er sich zu dieser Zeit aufgehalten hatte, aber seine Unschuld konnte bald bewiesen werden – und schon kurz darauf erinnerte man sich an Barthel, den unehrenhaft entlassenen, sich stets in Geldnöten befindlichen Gesellen des Bäckerbetriebs.

Durch die fast 500 Jahre später auch in der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ gerne zitierten „Hinweise aus der Bevölkerung“ wurde schnell bekannt, dass sich der Verdächtige in seine Heimatstadt abgesetzt habe. Persönliche Bekannte, die bereit waren, ihn zu identifizieren, machten sich auf den Weg nach Regensburg. Unter ihnen befand sich übrigens auch der vormalige Verdächtige Paul Schieckl. Schon am 2. Jänner 1501 erreichte Wien die Kunde von der erfolgreichen Festnahme des Axtmörders. Barthel wurde in Ketten geschmiedet, um keine Gefahr für seine Bewacher darzustellen. Dann wurde er auf eine Zille verfrachtet und flussabwärts nach Wien transportiert. Eine recht gefahrvolle Reise: Die Donau war damals noch unreguliert, ein verästelter, wilder Strom, der unzählige Gefahren barg. Es gab Klippen, Strudel, Untiefen. Noch dazu war tiefster Winter und manche Bereiche konnten vereist sein. Selbst für die Schiffer und Barthels Bewacher wäre ein Kentern fatal gewesen – er selbst hätte mit den Eisenketten an seinem Körper nicht die geringste Chance gehabt, in den eiskalten, reißenden Fluten zu überleben.

Trotz allem sah man sich aber noch genötigt, in Linz drei Söldner als zusätzliche Wächter anzuwerben. Der Gefangene schien der Besatzung des Bootes alles andere als geheuer zu sein.

Die Zille erreichte Wien jedoch unbeschadet und dem Verdächtigen wurde im wahrsten Sinne des Wortes kurzer Prozess gemacht: Bereits am 26. Februar fällte das Gericht das Urteil, dass Bartholomäus (dessen Nachname übrigens merkwürdigerweise nirgends aufscheint) wegen fünffachen kaltblütigen Mordes hingerichtet werden sollte.

Und das – aufgrund der Bestialität des Verbrechens – auf eine ebenso bestialische Weise.

 

Quelle: Dietmar Grummt/pixelio.de
Quelle: Dietmar Grummt/pixelio.de

Nun wird es Zeit, nach dem „Cafe Central“ den zweiten Schauplatz unserer Geschichte zu besuchen: das „Hundertwasserhaus“, einen Gebäudekomplex, der von dem Maler Friedrich Stowasser, welcher sich als Friedensreich Hundertwasser Regentag Dunkelbunt in der Kunstgeschichte verewigt hat, gemäß seinem „Verschimmelungsmanifest gegen den Rationalismus in der Architektur“ gestaltet wurde. Gut, nicht ganz konsequent, wenn man dieses Manifest gelesen hat, aber durchaus außergewöhnlich genug, um zur Touristenattraktion zu avancieren.

Und was soll das mit Barthel zu tun haben? Ganz einfach: dessen Leben endete just dort, wo heutzutage die bunte, verspielte Fassade des Hundertwasserhauses bestaunt wird – und weniger die Todesqualen eines verurteilten Axtmörders.

An jener Stelle befand sich früher die sogenannte „Gänseweide“. Was in unseren Ohren so ländlich-beschaulich klingt, war es auch tatsächlich. Auf dieser Grünfläche wurde aber nicht nur Federvieh gehalten, sondern über Jahrhunderte hinweg auch immer wieder exekutiert: zumeist handelte es sich dabei um Judenverbrennungen. Letztere auch gerne in großem Stil mit über 200 Delinquenten auf einmal. Typisch für das goldene Wienerherz. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde das Gelände dann „nur mehr“ für Erschießungen nach Militärrecht genutzt. Richtiggehend unspektakulär.

Zur Zeit Barthels jedoch waren Hinrichtungen noch öffentliche Spektakel. Ganz besonders natürlich seine. Erstens war er aufgrund der spektakulären Tat ein Promi mit Gruselfaktor geworden, andererseits war die Art seiner Hinrichtung etwas Außergewöhnliches: Der Bäckergeselle sollte nämlich gepfählt werden. Eine schon lange nicht mehr verhängte Todesart. Und das durfte man sich selbstverständlich auf keinen Fall entgehen lassen.

Die Pfählung des Bartolomäus, Quelle: VEKO Online
Die Pfählung des Bartolomäus, Quelle: VEKO Online

So wurde der Verurteilte im März 1501 in Begleitung seines leiblichen Bruders, der Mönch war und ihm bei der Hinrichtung geistlichen Beistand leistete, nach einigen Runden durch die Stadt, bei denen man ihn bereits bestaunen, beschimpfen oder bespucken konnte, auf die extrem gut besuchte Gänseweide geführt. Der erste Teil des Showprogramms bestand darin, dass Barthel ein Finger nach dem anderen abgehackt wurde. Anschließend wurde er zum Gaudium der hochverehrten Zuschauerinnen und Zuschauer aufs Rad geflochten und mit glühenden Zangen gefoltert.

Der Höhepunkt der Darbietung war aber – wie bereits erwähnt – seine anschließende Hinrichtung.

Pfählungen funktionierten in der Bundeshauptstadt von anno dazumal üblicherweise so:

Man drückte den Verurteilten nackt auf den Boden, die gekreuzten, angezogenen Beine unter dem Oberkörper. Dann führte man einen nicht allzu spitzen, etwa zweieinhalb Meter hohen eingefetteten Pfahl 50 bis 60 Zentimeter in den Mastdarm ein. Anschließend richtete man ihn senkrecht auf, wobei das Körpergewicht des Delinquenten in Kombination mit der Schwerkraft zur Folge hatte, dass die Spitze des Pfahls sich ihren Weg zwischen den Organen suchte und beim Schlüsselbein des Hinzurichtenden wieder aus dem Körper trat. Deshalb war auch wichtig, sie nicht zu sehr anzuspitzen: Sie hätte sonst die Organe verletzt, vielleicht sogar das Herz durchbohrt und der Delinquent wäre sehr, sehr schnell gestorben. Das war allerdings nicht der Sinn der Sache. Der Tod sollte sich Zeit lassen.

War der Pfahl aufgerichtet, wurde es für den Henker und seine Helfer gemütlicher: Sie mussten nur mehr warten, bis die Natur dafür sorgte, dass der Verurteilte das Zeitliche segnete.

So der Plan.

Barthel hatte allerdings Pech: Aufgrund des Umstands, dass Pfählungen bereits lange nicht mehr durchgeführt worden waren, schien der Scharfrichter aus der Übung zu sein. Das Einführen des Pfahls in den Anus wollte nicht recht gelingen und Barthel bestand schreiend darauf, dass der Pfahl noch einmal herausgezogen und fachgerecht platziert werden solle.

Beim zweiten Mal gelang das Unternehmen laut der Quellen deutlich besser – und der im Endeffekt fünfstündige Todeskampf des Mörders konnte beginnen.

 

Somit war nach damaligem Rechtsverständnis wieder Ordnung in den Lauf der Welt gekommen: Blut war durch Blut gesühnt worden – und eine Riesengaudi für die Zuschauer wars darüber hinaus gewesen.

Wer heute seinen kleinen Braunen im Cafe Central trinkt, wird wohl nicht die Schreie des Ehepaars Reisner oder das Flehen ihrer kleinen Tochter hören.

Auch wer die bunte Fassade oder die begrünten Balkone und Dachflächen des Hundertwasserhauses bewundert, wird kaum den Geruch des verbrannten Fleischs des gefolterten Barthels wahrnehmen.

Und doch ist das alles ein Teil der Geschichte jener Orte.

Wie habe ich zu Beginn dieses Beitrags gemeint?

Jeder Ort hat seine Geschichte, jeder Ort hat Taten gesehen, die wir oftmals nicht wissen. Ja, sogar Taten, die wir unter Umständen gar nicht wissen wollen.